Flüchtlingsversorgung

Thüringens Ärzte stellen sich ihrer Verantwortung

Überall in Deutschland engagieren sich Ärzte für Flüchtlinge. Ein Blick auf die Versorgungssituation in Thüringen.

Von Katrin Zeiß Veröffentlicht:
Junge Frauen aus Syrien bedanken sich in Erfurt für die Hilfsbereitschaft.

Junge Frauen aus Syrien bedanken sich in Erfurt für die Hilfsbereitschaft.

© Schutt / dpa

ERFURT. Immer mehr Flüchtlinge: Weil die Versorgung auch für viele ambulant tätige Ärzte eine Herausforderung ist, plädiert die Kassenärztliche Vereinigung Thüringen (KVT) nun dafür, bei den Terminservicestellen auf die Bremse zu treten.

Der Gesetzgeber müsse die Pflicht zur Einrichtung der Terminservicestellen wegen des großen Hilfsbedarfs von Land und Kommunen bei der ärztlichen Versorgung von Flüchtlingen und Asylsuchenden aussetzen, verlangte jetzt die Vertreterversammlung in einem einstimmig gefassten Beschluss.

"Vorbildlicher Einsatz"

Viele Ärzte setzten sich bei der medizinischen Hilfe für Flüchtlinge "vorbildlich und weit über das Maß des Normalen" hinaus, betonte die KVT-Vorsitzende Annette Rommel. "Aber die Probleme, die sich mit den tatsächlichen Gegebenheiten entwickeln, sind größer als erwartet."

Zugleich forderte Rommel die Einführung der Gesundheitskarte für Flüchtlinge auch in Thüringen. Die rot-rot-grüne Landesregierung müsse dazu endlich Verhandlungen mit den gesetzlichen Krankenkassen aufnehmen.

Rommel nannte eine Reihe organisatorischer und finanzieller Hürden, die einer sachgerechten medizinischen Versorgung der Schutzsuchenden entgegenstehen. Es fehle vor allem an Dolmetschern, geeigneten Behandlungsräumen in den Flüchtlingsunterkünften oder deren Nähe und einer unbürokratischen Abrechnung von Behandlungsleistungen.

Nach derzeit geltender Regelung müssen erbrachte ärztliche Behandlungen für Asylsuchende über die Sozialämter der Kommunen abgerechnet werden, den Leistungsanspruch regelt das Asylbewerberleistungsgesetz. "Das ist ein hochbürokratischer Prozess", sagte Rommel.

Eine Gesundheitskarte für Asylsuchende, die diesen den direkten Zugang zum Arzt ermöglichen würde, sei auch für die Ärzte eine praktische Erleichterung. Auch dass in Deutschland Medikamente nur in Apotheken, nicht aber in Arztpraxen abgegeben werden dürfen, sei in der Flüchtlingsversorgung wenig praktikabel.

Plädoyer für Brennpunkt-Praxis

Seit wenigen Tagen liegt ein Vorschlag von KVT und Landesärztekammer bei der Landesregierung, mit finanzieller Unterstützung des Landes "Brennpunkt-Praxen" einzurichten und zu betreiben - also Praxen in Regionen mit besonders vielen Flüchtlingen, vor allem in Orten mit Erstaufnahmeeinrichtungen. "Wir brauchen Räume und Geld, Ärzte haben wir selbst", sagte Rommel.

In den Praxen sollten nicht nur Patienten mit akuten Krankheiten behandelt werden, es gehe auch um Hilfe für chronisch kranke Menschen.

Die KVT sieht Bedarf an solchen Praxen in Suhl, wo es eine große Erstaufnahmestelle gibt, in Erfurt, wo die Messe teilweise zur Notunterkunft für bis zu 3000 Menschen umfunktioniert wurde, und in Nordthüringen.

Vor allem in Suhl, wo zuletzt die Not- und Rettungsdienst-Einsätze auch wegen relativ leichten Beschwerden ständig stiegen, hält die KVT eine solche Brennpunkt-Praxis für geboten - und zwar außerhalb der Erstaufnahme. "Sobald ein Arzt oder Rettungssanitäter in Suhl in die Zimmer kommt, steht sofort eine Traube von Menschen um ihn herum", sagte KVT-Hauptgeschäftsführer Sven Auerswald.

Eine Behandlung, bei der auch die persönliche Sphäre der Flüchtlinge gewährleistet werde, sei unter solchen Bedingungen nur schwer oder gar nicht möglich. Auch Rettungs- oder Krankenwagen würden regelrecht bestürmt, schilderte der Arzt Wolfgang Pils aus Südthüringen. "Da wollen alle mitfahren."

Die umliegenden Praxen sind laut KVT überfordert - vor allem wegen der Sprachbarrieren. Die Flüchtlingseinrichtung in Suhl war im August nach schweren Auseinandersetzungen unter Asylsuchenden mit Verletzten in die Schlagzeilen geraten.

Strategien gegen Sprachbarrieren

Mitunter sind die Probleme bei der Flüchtlingsversorgung aber auch eher von der simpleren Natur. So verfügt die Erstaufnahmestelle in Suhl zwar über einen sehr gut ausgestatten "Med-Punkt". Der sei bislang jedoch für die Ärzte nicht rund um die Uhr erreichbar gewesen - eine Frage der "Schlüsselgewalt".

Dieses Problem soll inzwischen gelöst sein, nachdem die KVT die Landesmigrationsbeauftragte Mirjam Kruppa eingeschaltet hatte. Das Problem der fehlenden Dolmetscher könne man angehen, indem Ressourcen der Flüchtlinge genutzt würden, schlug der Allgemeinmediziner Pils vor. "Unter den syrischen Flüchtlingen sind Ärzte und Medizinstudenten."

Der Sicherstellungsauftrag für die Behandlung von Flüchtlingen liegt bei Land und Kommunen - die dabei auf eine große Bereitschaft zur Hilfe bei Ärzten bauen könnten, wie Rommel versicherte. Die in Thüringen auf verschiedene Behörden aufgeteilten Zuständigkeiten machen die Koordinierung der Hilfen allerdings nicht einfach.

Um die ärztliche Versorgung vor Ort kümmern sich die kommunalen Sozialämter - und das nach KVT-Erfahrungen höchst unterschiedlich. Mit Kritik hält sich Rommel zurück: "Die jetzige Situation hat uns alle etwas überrollt."

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