Flüchtlinge: Diabetologen klagen Missstände an

Die Sprachbarriere ist das wohl größte Problem der Flüchtlingsversorgung. Weil das Mitwirken des Patienten in der diabetologischen Praxis essenziell ist, gestaltet sich die Lage hier besonders gravierend.

Von Jana Kötter Veröffentlicht:

NEU-ISENBURG. In der Versorgung von an Diabetes erkrankten Flüchtlingen bestehen enorme Defizite: Oft sei eine Erkrankung bei der Ankunft in Deutschland noch nicht bekannt, und die Therapie der frisch Diagnostizierten werde durch den Wechsel von Zuständigkeiten extrem behindert. Hinzu kommen Sprachbarrieren, die die Therapie erschweren und wirtschaftlich unmöglich machen, beklagt Professor Rüdiger Göke.

Weil er für einen behandelten Flüchtling nur die Versichertenpauschale von 15 Euro erhalte, durch zusätzlichen Arbeitsaufwand aufgrund der Sprachbarriere jedoch einen extrem hohen zusätzlichen Aufwand habe, sei es "nicht machbar", Asylsuchende kostendeckend zu versorgen.

Kommunikation ist entscheidend

Er habe sich daher entschieden, in seinen zwei Praxen mit diabetologischem Schwerpunkt im mittelhessischen Kirchhain keine Flüchtlinge mehr zu versorgen, erklärt Göke.

"In der Diabetes-Therapie wird heute auf eine individualisierte Therapie gesetzt. Dabei ist die Kommunikation zwischen Arzt und Patient entscheidend: Gemeinsam wird der zu gehende Weg austariert", erinnert Göke. Dies sei jedoch faktisch nicht zu leisten - trotz enormer Anstrengungen einzelner Praxen. So seien in seiner Schwerpunktpraxis eine türkischsprachige Diabetesberaterin sowie eine russischsprachige Diabetesassistentin tätig. Damit habe man den Bedürfnissen der ausländischen Patienten - der Großteil waren lange Türken und Russen - begegnen können. Mit der Versorgung neuerer Zuwanderer sei jedoch zunehmend Arabisch gefragt. "Wir können nicht alle Sprachen anbieten", betont Göke. "Und bei komplizierteren Therapien oder wenn es darum geht, die Compliance des Patienten sicherzustellen, ist eine Verständigung unverzichtbar."

"Zufall, wenn Verständigung klappt"

"Der Therapieerfolg steht und fällt mit der sprachlichen Verständigung", weiß auch Dr. Nikolaus Scheper vom Bundesverband Niedergelassener Diabetologen (BVND). "Und aktuell ist es leider eher Zufall, wenn diese sprachliche Verständigung funktioniert." Die Sprach- und Kulturbarrieren übertreffen seiner Einschätzung bei Weitem die Erfahrungen, die in der Vergangenheit etwa in der Versorgung von Menschen aus der Türkei oder Kurdistan gesammelt wurden.

"Mehr noch als bei anderen chronischen Krankheiten ist die Diabetologie auf die Mitarbeit des Patienten angewiesen", betont Scheper, der im Ruhrgebiet eine Schwerpunktpraxis betreibt. "Die Probleme schlagen sich in unserem Fachgebiet deshalb besonders nieder." Während sich die "katastrophalen Folgen" der lückenhaften Versorgung bei Typ-II-Diabetikern erst vergleichsweise spät zeigten, kämen viele Typ-I-Diabetiker bereits in "desolatem Zustand" in Deutschland an, weil Insulin auf der Flucht nicht oder nur in unregelmäßigen Dosen zur Verfügung stand.

"Letztens war ein junger Pakistani in meiner Praxis, bei dem erst kurz vor der Flucht Diabetes diagnostiziert wurde", erzählt auch Göke. "Irgendjemand hatte ihm dann eine Handvoll Insulinspritzen auf dem Weg in die Hand gedrückt. Dass der Mann nicht gestorben ist, grenzt an ein Wunder."

Die Sprachbarriere macht beiden Diabetologen besonders zu schaffen. Scheper behandelt heute keinen Flüchtling mehr ohne Dolmetscher, und auch Göke hat in den vergangenen Monaten schlechte Erfahrungen gemacht: Anfangs habe er in der Versorgung der Diabetespatienten auf Dolmetscher gesetzt, jedoch schnell gemerkt, dass die Übersetzungsqualität zu wünschen übrig ließ. Weil medizinische Fachbegriffe in der Fremdsprache fehlten, wurde oft der Kontext verändert oder Anleitungen nur unsachgemäß übersetzt. "Wie gravierend diese Unterschiede zum Teil waren, habe ich erst Jahre später, nachdem meine türkischsprachige Beraterin ausgebildet war, realisiert", berichtet Göke.

Neben kulturell bedingten anderen Ernährungsgewohnheiten, die die Therapie erschweren können, sei auch die Vorbildung oft ein Problem. "Ein Teil der neu ankommenden Flüchtlinge sind sogar Analphabeten", hat Göke bei rund 15 seiner behandelten Asylsuchenden beobachtet. Das Verständnis für die Wichtigkeit von Kontinuität und Compliance sei so nicht zu vermitteln gewesen.

Und wenn Patienten diese Bedeutung verstanden haben, wurde der Therapieerfolg häufig von wechselnden Zuständigkeiten erschwert, beklagt Göke: "Das Einstellen eines Patienten ist manchmal sehr schwierig. Ich hatte einen besonders schweren Fall - und gerade, als wir es geschafft hatten, wurde er in ein anderes Lager verlegt und die Therapie damit in fremde Hände übergeben." Bis heute wisse er nicht, was aus dem Patienten geworden sei. "Wir haben uns dafür eingesetzt, die Verlegung aufzuschieben - doch vergeblich.

Dabei kann es auch sein, dass Flüchtlinge, die dringend eingestellt werden müssen, in Gebiete kommen, in denen die diabetologische Versorgung schwach ist."

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