Flüchtlingsversorgung

Chance für E-Karte im Südwesten unklar

Ob die Gesundheitskarte für Flüchtlinge in Baden-Württemberg kommt, ist derzeit nicht absehbar. Die Grünen wollen sie, die CDU nicht. Nötig sei bei der Versorgung mehr Koordination, mahnt die Landesärztekammer.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

STUTTGART. In Baden-Württemberg wäre ein "Runder Tisch" für die Koordination der Versorgung von Flüchtlingen sinnvoll.

Das hat Ärztekammer-Präsident Dr. Ulrich Clever Ende Juli bei einer Veranstaltung der Krankenkassen-Kooperation "B 52" in Stuttgart gefordert. In dem Verbund kooperieren BKK Landesverband Süd, IKK classic, der Ersatzkassenverband vdek und die Knappschaft.

Clever konstatierte, es habe im Herbst vergangenen Jahres angesichts der hohen Flüchtlingszahlen ein "Fluidum des Durcheinanders" gegeben. Inzwischen seien in einem "gemeinsamen Lernprozess" geeignete Versorgungsstrukturen etabliert worden, die nicht wieder abgebaut werden sollten.

Mit Blick auf die vielen Krisenherde mahnte der Kammerpräsident, ein Wiederanstieg der Flüchtlingszahlen sei jederzeit möglich. Vor diesem Hintergrund sei es nicht zu spät, die Etablierung eines "Runden Tischs" nachzuholen.

Flexibel statt "hüftsteif"

Landesgesundheitsminister Manfred Lucha (Grüne) lobte, das ansonsten so "hüftsteife Deutschland" habe die medizinische Versorgung der Flüchtlinge "locker und flexibel" gehandhabt.

Für deren Versorgung seien vorübergehend Ressourcen aufgebaut worden, anschließend wurde die Regelversorgung durch niedergelassene Ärzte "zielgenau" in Anspruch genommen.

Lucha zeigte sich von den Vorteilen einer elektronischen Gesundheitskarte für Flüchtlinge überzeugt, die bundeseinheitlich umgesetzt werden sollte. Im Koalitionsvertrag von Grünen und CDU wird das Vorhaben indes nicht erwähnt. Bekannt geworden ist kürzlich eine "Nebenabrede" zum Koalitionsvertrag.

Darin heißt es, die E-Karte für Flüchtlinge solle dann wieder auf die Agenda kommen, wenn die "Zahl der Flüchtlinge in der vorläufigen Unterbringung steigt". Lucha kritisierte, der frühere Koalitionspartner SPD habe bei der Etablierung der Gesundheitskarte im Südwesten auf der Bremse gestanden.

Wie die Versorgung der Flüchtlinge auf kommunaler Ebene konkret geklappt hat, berichtete Dr. Gottfried Roller, Leiter des Kreisgesundheitsamts in Reutlingen.

Ziel sei es gewesen, so wenig Parallelstrukturen wie möglich für die 2000 bis 3000 Flüchtlinge aufzubauen. Er habe dazu alle Hausärzte im Kreis kontaktiert - vor allem, um die Impfbereitschaft der niedergelassenen Ärzte abzufragen .

Zahl der Arztkontakte variiert

Eingestellt hat das Gesundheitsamt Krankenpflegerinnen, die als "Lotsen und Filter" insbesondere bei der Versorgung in den Gemeinschaftsunterkünften dienten. Sie sollten helfen, unnötige Einsätze des Rettungsdienstes zu vermeiden.

Ein weiteres Ziel war es, Gruppen mit besonderen Versorgungsbedarfen zu identifizieren. Roller stellte regionale Daten vor, nach denen die Zahl der Arztkontakte bei Flüchtlingen niedriger ist als bei GKV-Versicherten.

Während allerdings junge Männer ähnlich gut versorgt seien wie in der Regelversorgung, liege die Inanspruchnahme von Leistungen bei geflüchteten Frauen und Kindern deutlich niedriger - diese Zahlen gelte es sich genauer anzuschauen, kündigte er an.

Zwei eng miteinander verbundene Herausforderungen für das Gesundheitssystem ergeben sich aus einer "bunter" werdenden Gesellschaft, betonte Professor Rolf Rosenbrock, Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes: Nötig sei es, das Gesundheitswesen interkulturell zu öffnen und die Gesundheitskompetenz seiner Nutzer zu erhöhen. Anderenfalls komme es zu neuen Zugangsproblemen in der Versorgung - etwa bedingt durch Sprachbarrieren oder andere kulturelle Normen.

Hier ist noch viel zu tun: Bei der Gesundheitskompetenz gibt es starke Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, erinnerte der Gesundheitswissenschaftler.

70 Prozent der Migranten seien wenig oder gar nicht in der Lage, sich im Gesundheitssystem zu orientieren. Unter "Einheimischen" betrage der Anteil der Menschen mit geringer Gesundheitskompetenz rund 52 Prozent.

Bei der "Therapie" dieses Mangels, machte Rosenbrock deutlich, gibt es keine schnellen Lösungen, sondern es sind dicke Bretter zu bohren. Dies betrifft die Personalentwicklung in Gesundheitseinrichtungen - im Sinne einer höheren Interkulturalität in der Belegschaft - genauso wie die Fort- und Weiterbildung.

In Baden-Württemberg ist man hier auf einem guten Weg, berichtete Ärztekammerpräsident Clever. Im vergangenen Jahr erhielten im Südwesten 2200 Mediziner ihre ärztliche Approbation, 900 von ihnen hatten einen Migrationshintergrund.

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