Leitartikel zum Weltfrauentag

In der Medizin bleibt die Chefin unsichtbar

Gut ausgebildete Ärztinnen stellen ihre Fachkompetenz selten zur Schau - weder in ärztlichen Gremien noch in Talkshows. Dabei wäre es längst an der Zeit, dass mehr Frauen in den medizinischen und berufspolitischen Debatten mitmischen.

Von Rebecca Beerheide Veröffentlicht:
Unterstützung für die jüngeren Kollegen: Gestandene Ärztinnen sollten ihre jungen Kolleginnen fördern.

Unterstützung für die jüngeren Kollegen: Gestandene Ärztinnen sollten ihre jungen Kolleginnen fördern.

© contrastwerkstatt / fotolia.com

Das Klagelied, nächster Akt: Deutschlands Chefetagen werden noch zu selten von Frauen geführt - egal ob in Wirtschaft, Verwaltung, Universitäten oder Kliniken.

Am 103. Weltfrauentag am 8. März wird erneut dieses Lied von engagierten Frauen gesungen - selbstbewusst und bestimmt, aber dennoch mit dem Wissen, dass es noch lange dauert, bis auch in Führungspositionen berufliche Gleichberechtigung geschaffen sein wird.

Das Klagelied gibt es seit Jahren - und vielen hängt es aus den Ohren hinaus. In Sonntagsreden kommt es vor, es gehört zu jeder Postenbesetzung dazu. Personalentscheider müssen sich rechtfertigen "ob es da nicht auch eine Frau gab", wenn es um Spitzenjobs geht.

Richtig so. Falsch ist es, dass Frauen, die in ein Spitzenamt berufen wurden, lieber über ihren Aufstieg schweigen und sich kaum in die Öffentlichkeit trauen.

Das ist nicht nur bei Frauen aus der Wirtschaft oder der Verwaltung zu beobachten - auch Medizinerinnen in Spitzenpositionen diskutieren kaum in Talkshows, veröffentlichen selten populärwissenschaftliche Bücher oder beteiligen sich gar nicht mit steilen Thesen an der öffentlichen Debatte. Ihre fachliche Qualifikation zur Schau stellen? Offenbar kein Job für Medizinerinnen.

Kein "kollektiver Unmut" bei Medizinerinnen

Diese fehlende Sichtbarkeit der fachlich hoch qualifizierten Ärztinnen ärgerte auch die Initiatorinnen von "Pro Quote Medizin", als sie die Online-Unterschriftenliste vor einem Jahr starteten.

Ein offener Brief an alle Entscheider im Gesundheitswesen, Klinikchefs und Berufspolitiker forderte die Quote in Führungspositionen von 40 Prozent bis 2018. Vor einem Jahr unterschrieben viele Medizinerinnen, auch war der ein oder andere Chefarzt dabei.

Doch seit Monaten ist es ruhiger geworden - "langsam aber stetig" arbeiteten die Initiatorinnen am Ziel, mehr Frauen in ärztliche Führungspositionen zu bekommen, erklärten sie. Ihr Erfolg? Es bleibt bei den ernüchternden Zahlen aus dem vergangenen Jahr: Zwar gibt es heute 70 Prozent Medizinstudentinnen, aber nur 26 Prozent weibliches Führungspersonal an Kliniken, zwei C-4-Professorinnen und eine Dekanin.

Für mehr Erfolg oder mehr Druck auf Entscheider "fehle der kollektive Unmut" attestiert Professor Gabriele Kaczmarczyk von der Berliner Charité ihren Kolleginnen. Als langjährige Frauenbeauftragte verhalf sie so mancher Frau in eine Spitzenposition - doch auch viele von ihnen bleiben unsichtbar.

In der Medizin ist es am schwersten zu begreifen, warum nur so wenige der gut ausgebildeten Ärztinnen ihre Meinung in öffentlichen und innerärztlichen Debatten vertreten: Schon Mitte der 1990er Jahre waren 50 Prozent der Studenten Frauen, heute sind es rund 70 Prozent.

Nach der Facharztprüfung sind nur noch die Hälfte der Ärzte Frauen, in Spitzenpositionen braucht es eine Lupe, um die statistischen zehn Prozent zu finden. Dabei gibt es genügend Qualifizierte für diese Positionen.

Düster sieht es auch in der ärztlichen Berufspolitik aus. Hier ist erheblicher Nachholbedarf festzustellen: Zwei Frauen (und drei Männer) sind im gewählten Vorstand der Bundesärztekammer, auf den Chefsesseln der 17 KVen sitzen bundesweit fünf Frauen (und 36 Männer), in den Landesärztekammern gibt es drei Präsidentinnen (14 Präsidenten).

Einzige Ausnahme: Die Spitze der KBV ist paritätisch besetzt. In den Delegierten- und Vertreterversammlungen dürfte sich die geringe Zahl des weiblichen Spitzenpersonals allerdings widerspiegeln.

Berufspolitikerinnen müssen jetzt werben

Was kann nun getan werden, um die "verbale Aufgeschlossenheit, bei unveränderter Verhaltensstarre" - das attestierte einst der Soziologe Ulrich Beck der deutschen Gesellschaftsdebatte - zu beenden? Wie können mehr Medizinerinnen in die Top-Jobs kommen und Einfluss nehmen?

Die Verhaltensstarre muss aufgebrochen werden - und zwar vor allem von den Ärztinnen, Berufspolitikerinnen und Gremienmitgliedern selbst.

Für Berufspolitikerinnen müssen zwei Ziele klar vor Augen sein: Die Wahlen zu den Vertreterversammlungen in den Kassenärztlichen Vereinigungen im Jahr 2016 sowie die Kammerwahlen in den kommenden Monaten.

Um mehr weibliche Stimmen in der Berufspolitik zu gewinnen, müssen dafür jetzt - zwei Jahre davor - Kandidatinnen gesucht, angesprochen und überzeugt werden.

Daher kann der Appell nur lauten: Startet jetzt die Suche nach geeigneten Kandidatinnen! Überzeugt sie, dass ihre Stimme, ihre Sichtweise und ihr Können in den Institutionen benötigt, gefragt und gehört werden müssen. Dass auch sie mitentscheiden sollen, wofür (Forschungs-)Gelder ausgegeben werden.

Appell zwei: Ärztinnen, zeigt Euch - egal, ob in der Klinik, in der Praxis oder in der Berufspolitik.

Appell drei: Medizinerinnen in Führungspositionen - fördert Frauen, unterstützt sie, macht Wege frei, begeistert sie! Es ist höchste Zeit, loszulegen!

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