ÜBAG gegen den Ärztemangel

Neue Kooperationsformen von Ärzten krempeln die Patientenversorgung um. Sie könnten ein Rezept gegen den drohenden Ärztemangel sein. Ein Beispiel: die ÜBAG.

Von Sabine Schiner Veröffentlicht:
Gemeinsam ist man weniger allein.

Gemeinsam ist man weniger allein.

© carlosseller/ fotolia.com

Überörtliche Berufsausbildungsgemeinschaften (ÜBAG) liegen im Trend: Die Praxen bleiben erhalten, keiner muss umziehen und die Arbeitszeiten können mit Hilfe von angestellten Ärzten familienfreundlich geregelt werden.

Die Praxen brauchen allerdings eine kompetente wirtschaftliche Leitung. Dabei gibt es unterschiedliche Modelle.

Der Hausarzt als Praxismanager

Manche Hausärzte erarbeiten sich das wirtschaftliche Handwerkszeug selbst, andere setzten auf externe Berater. Dr. Jan Purr, Allgemeinmediziner in der hessischen Stadt Großalmerode, ist sein eigener Praxismanager.

Das Gesundheitszentrum Gelstertal ist eine BAG mit zwei Standorten, fünf Ärzten und zwölf Mitarbeiterinnen. Die Gründung im Jahr 2009 aus einer Gemeinschaftspraxis heraus hat viel Zeit gekostet - und einfach so nebenbei ist die Organisation auch heute nicht zu stemmen.

Mit seinen Partnern hat er vereinbart, dass er sich an einem Tag die Woche um die Verwaltung kümmert. Purr lebt das Thema Kooperation und setzt sich auch berufspolitisch dafür ein. Er ist Gründungsmitglied des Ärztebündnis Werra-Meißner-Kreis und der Genossenschaft Doxs.

ÜBAG

Die Überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft, kurz ÜBAG, ist rechtlich mit einer Gemeinschaftspraxis gleichgestellt. Ihre Mitglieder arbeiten an mehreren Standorten, rechnen aber gemeinsam ab. Der Vertrag sollte genau Rechte und Pflichten der Partner regeln, auch die Honorarverteilung.

Zu den Vorteilen einer ÜBAG gehören der gemeinsame Einkauf, aber auch größere Marktmacht, etwa um IV-Verträge abzuschließen.

Im Laufe der Jahre hat er viel über Themen wie Investitionsvolumen, Abrechnung, Wirtschaftlichkeit oder Gesellschafteranteile gelernt.

Irgendwann, so erzählt Purr, hatte er es satt, dass er in Verhandlungen mit Krankenkassenvertretern und KV-Managern ständig das Gefühl hatte, dass sie ihm in diesen Dingen voraus sind.

"Wenn man sich niederlässt, hat man von Buchführung, Einkauf, Praxismarketing und Personaleinsatz doch keine Ahnung", sagt er.

Er begann ein berufsbegleitendes Studium in Gesundheitsökonomie und schloss mit dem "Master of Business Administration" (MBA) ab. "Jetzt kann ich besser mitreden."

Die BAG ist als Partnerschaftsgesellschaft organisiert, alle Geschäfte und Abrechnungen laufen über ein Konto, Investitionen tragen alle gemeinsam. Fällt ein Kollege aus Krankheits- oder Urlaubsgründen aus, übernehmen die anderen seine Aufgaben.

Hausbesuche, etwa bei chronisch kranken Patienten, werden an die Ärztlichen Fachhelferinnen delegiert. 2012 ist geplant, eine weitere Praxis als Nebenstandort anzuschließen. Purr sucht noch einen Facharzt in Anstellung und einen Weiterbildungsassistenten.

Aus dem Netz in die ÜBAG

In der Eifel entsteht derzeit aus dem Ärztenetz Vordereifel heraus eine ÜBAG, bei der ganz unterschiedliche Praxen zusammenarbeiten. Praxisberater Jörg Hassenpflug aus Rodgau hat die Aufgabe, sie zu einem Ganzen zusammenzuführen.

Im Ärztenetz sind 63 Haus- und Fachärzte zusammengeschlossen. Die BAG soll Voll- und Teilzeitarbeitsplätze schaffen. Hauptgrund der Kooperation: 40 Prozent der Ärzte sind älter als 60 Jahre, Nachwuchs ist nicht in Sicht.

"Viele Ärzte, die gerade in Ausbildung sind, scheuen das Risiko einer freiberuflichen Tätigkeit", sagt Hassenpflug. Das habe zuletzt auch eine Umfrage der Universität Trier gezeigt.

Spätestens in fünf bis sieben Jahren werde es einen großen Schwund an Hausarztpraxen geben. Ein Beispiel sei die rheinland-pfälzische Region nördlich von Maxen bis Bad Neuenahr, wo vier Hausärzte niedergelassen sind.

Drei davon werden in den nächsten fünf Jahren ausscheiden. Um die Versorgung zu sichern, sind in einem ersten Schritt fünf Praxen mit sieben hausärztlichen Zulassungen gerade dabei, eine BAG zu gründen. Geplanter Startzeitpunkt ist das zweite Quartal 2012, weitere ÜBAG sollen folgen.

Übers Knie brechen will Hassenpflug die Umstrukturierung nicht. Viele der Ärzte waren jahrelang als Einzelärzte oder in kleineren Gemeinschaftspraxen niedergelassen. Die Eigenheiten der Standorte sollen möglichst erhalten bleiben.

Grundlage für die Zusammenarbeit ist eine netzinterne EDV-Plattform. Um das Behandlungsmanagement zu verbessern und die Hausärzte zu entlasten, ist auch der Einsatz von Telemedizin und einer netzinternen elektronischen Patientenakte geplant.

Ähnlich wie in der ÜBAG im hessischen Großalmerode, sollen auch in der Eifel die Mitarbeiterinnen im Bereich der ambulanten, wohnortnahen Pflege eingesetzt werden.

Für Hassenpflug sind die neuen Versorgungsformen eine Chance, um neue Wege zu beschreiten: "Wir wollen eine Keimzelle darstellen für andere Gebiete in Rheinland-Pfalz."

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