Praxisabgabe

Das MVZ-Urteil – Ärzte arrangieren sich

Drei Jahre im MVZ angestellt sein, nur um den eigenen Arztsitz abgeben zu können? Diese Vorgabe des Bundessozialgerichts macht im Alltag weniger Probleme als erwartet.

Von Ingo Pflugmacher Veröffentlicht:
Nach Stechuhr im Dienst? Für viele, gerade ältere Ärzte, die jahrelang freiberuflich tätig waren, eine ungewohnte Vorstellung.

Nach Stechuhr im Dienst? Für viele, gerade ältere Ärzte, die jahrelang freiberuflich tätig waren, eine ungewohnte Vorstellung.

© fotomek/Fotolia

Zur Arztsitzübernahme via MVZ-Anstellung hat das Bundessozialgericht im Mai 2016 eine Entscheidung getroffen, die für Beachtung sorgte: Ein Arzt, der auf seine Zulassung zugunsten der Anstellung in einem MVZ oder bei einem anderen Arzt verzichtet, muss den Willen haben, drei Jahre im Anstellungsverhältnis tätig zu sein. Fehlt diese Absicht zum Zeitpunkt des Verzichts, so ist die Anstellung nicht zu genehmigen. Beendet der abgebende Arzt vor Ablauf dreier Jahre seine Anstellung, so müssen die Zulassungsgremien prüfen, ob der Wille zur dreijährigen Tätigkeit ursprünglich bestand und schwerwiegende Gründe die Willensänderung rechtfertigen. Sind die nicht zu erkennen, so lässt sich die mit dem Verzicht entstandene Arztstelle nicht nachbesetzen (Az.: (B 6 KA 21/15 R).

Da der Wechsel in die Anstellung für einen jahrzehntelang freiberuflichen Arzt aber etwas Neues ist, hatten sich vordem viele Ärzte die Option offen gehalten, jederzeit kündigen zu können. Dies ist nun nicht mehr möglich, da kein ärztlicher Arbeitgeber und kein MVZ das Risiko eingehen werden, bei einer Kündigung vor Ablauf der besagten drei Jahre die Arztstelle nicht nachbesetzen zu können.

Diejenigen Ärzte, die ihre Praxis verkaufen möchten, um in den Ruhestand zu gehen, haben sich nicht lange mit der Suche nach möglichen Webfehlern der BSG-Entscheidung aufgehalten, sondern praktikable Lösungen entwickelt, um Interessenkonflikte zu umschiffen. Drei Vorgehensweisen haben sich durchgesetzt: Die Bereitschaft zur dreijährigen Anstellung (Variante 1), die Gründung eines eigenen MVZ (Variante 2) und die Sitz-Ausschreibung mit kalkulierbarem Verlauf (Variante 3).

» Variante 1: Immer mehr Ärzte planen den Eintritt in den Ruhestand frühzeitig. Die Bereitschaft, doch noch drei Jahre als angestellter Arzt tätig zu werden, nimmt zu. Zwar stellt es für viele Ärzte eine hohe Hürde dar, sich für das Ende des Berufslebens eine Tätigkeit in einem Dienstverhältnis vorzustellen. Doch wächst auch die Einsicht, dass kein arbeitgebender Arzt und kein nachhaltig wirtschaftendes MVZ es sich heute leisten können, ihre angestellten Ärzte schlecht zu behandeln. Das wirklich "knappe Gut" ist derzeit nämlich der Arzt – nicht der Arztsitz. Laut KBV waren Ende 2016 in Deutschland bereits 3207 Vertragsarztsitze oder Arztstellen unbesetzt. Und um sich den Personalbedarf deutscher Kliniken vor Augen zu führen, muss man nur einen Blick in den Stellenmarkt der einschlägigen Medien werfen. Eine subkutane Angst, in einem Anstellungsverhältnis während der letzten Berufsjahre unbefriedigende Arbeitsbedingungen vorzufinden, erweist sich in aller Regel als unbegründet.

» Variante 2: Wenn abgabewillige Ärzte bereits in einer BAG tätig sind oder als Arbeitgeber Kollegen beschäftigen, haben sie die Möglichkeit, selbst ein MVZ zu gründen und in diesem als Gesellschafter und Angestellter in Personalunion drei Jahre lang zu arbeiten. Danach wird das MVZ verkauft. Häufig steht der künftige Erwerber zum Zeitpunkt der MVZ-Gründung schon fest. Die Ärzte müssen bei diesem Modell nicht befürchten, während der dreijährigen Anstellung Probleme mit dem Arbeitgeber zu bekommen, da sie ja selbst MVZ-Gesellschafter und damit ihre eigenen Arbeitgeber sind. Und der MVZ-Erwerber ist nicht dem Risiko ausgesetzt, ein MVZ mit Arztstellen zu übernehmen, deren Nachbesetzung unsicher ist. In anderen Wirtschaftsbereichen ist ein Vorgehen wie das eben beschriebene unter dem Begriff der "frühzeitigen Nachfolgeplanung" seit langem etabliert.

» Variante 3: Schließlich erweist sich immer häufiger, dass auch die Sitz-Ausschreibung zwecks Nachbesetzung mit dem Ziel des Praxisabgebers, Planungssicherheit zu erreichen, durchaus zu vereinbaren ist. In vielen Regionen gibt es nämlich nur noch den einen Bewerber, mit dem man sich bereits über die Konditionen des Praxisverkaufs verständigt hat. Der Käufer wird dann in Nachfolge zugelassen. Ob der verkaufende Arzt sofort in Rente geht oder nach Ausschreibung noch als Angestellter des Bewerbers tätig wird, ist allein eine Frage der wechselseitigen Interessen. Die 3-Jahres-Frist gilt nämlich nicht für ein Anstellungsverhältnis, das im Zusammenhang mit einer Ausschreibung eingegangen wurde. Der Arzt kann also seinen Vertragsarztsitz ausschreiben, ein anderer Arzt oder ein MVZ bewirbt sich hierauf, um den ausschreibenden Arzt anzustellen, die Anstellung wird genehmigt. Wann das Anstellungsverhältnis beendet wird, steht den Parteien völlig frei.

Fazit: Zum Ende ihrer Berufstätigkeit ist es für Ärzte anspruchsvoller geworden, den Praxisverkauf zeitlich und wirtschaftlich planbar umzusetzen. Diese Schwierigkeiten führen aber nur dazu, dass man den Eintritt in den Ruhestand vorausschauender und langfristiger plant. Wahrscheinlich wäre dies aufgrund des derzeitigen Ärztemangels in den meisten Fachgruppen ohnehin erforderlich gewesen. Demgegenüber ist nicht festzustellen, dass die Anzahl der Ausschreibungsanträge, die der Zulassungsausschuss wegen vertragsärztlicher Überversorgung ablehnt, zugenommen hätte.

Werden Vertragsarztsitze in Folge des BSG-Urteils häufiger ausgeschrieben und können deshalb die Zulassungsgremien zunehmend unter mehreren Bewerbern auswählen, um den am besten geeigneten zuzulassen? In der anwaltlichen Praxis ist davon nichts zu merken. Entweder gibt es gar keinen Interessenten  – die Alternative des Verzichts mit nachfolgender Anstellung käme also ohnehin nicht in Betracht. Oder es existiert ein Interessent, mit dem sich der verzichtende Arzt wirtschaftlich und über die dreijährige Anstellung geeinigt hat.

In diesem Fall wird der Arzt am Ende seines Berufslebens natürlich nicht Variante 3 wählen, also das hinsichtlich Dauer und Ergebnis nicht hundertprozentig planbare Ausschreibungsverfahren. Wenn in einem solchen Verfahren nämlich mehrere Bewerber konkurrieren und der vor den Zulassungsgremien unterliegende Bewerber Widerspruch und Klage einlegt, so muss man als ausschreibender Arzt weiterhin tätig sein, bis das juristische Verfahren beendet ist. Widerspruchs- und Gerichtsverfahren dauern aber länger als drei Jahre.

Die Vorgabe des Bundessozialgerichts zur Anstellungsdauer sitzabgebender Ärzte im MVZ kennt also weder Gewinner noch Verlierer. Alles ist nur etwas komplexer geworden. Eigentlich braucht die ambulante vertragsärztliche Versorgung aber nicht mehr, sondern weniger Komplexität, um für Ärzte wieder attraktiver zu werden. Es spricht viel dafür, dass das gesetzgeberisch letzte Wort zum Verzicht mit nachfolgender Anstellung noch nicht gesprochen ist.

Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizin- und Verwaltungsrecht und Partner der Kanzlei Busse & Miessen in Bonn.

Lesen Sie dazu auch: Medizinische Versorgungszentren: Mehr als 16.000 Ärzte arbeiten in MVZ Bundessozialgericht: Berufsausübungsgemeinschaft mit beschränkter Haftung – das geht Recht: Den Willen des Gesetzgebers bei Stellen-Verlegung konterkariert

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