Kritik am Gesetz

Mehr Bürokratie durch Patientenrechte?

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Die Vertreterversammlung der KV Westfalen-Lippe lässt kein gutes Haar am Patientenrechtegesetz.

Von Ilse Schlingensiepen

DORTMUND. Ärzte und Psychotherapeuten in Westfalen-Lippe warnen vor gravierenden Folgen, falls das Patientenrechtegesetz in der geplanten Form verabschiedet wird.

Eine Umsetzung würde das Arzt-Patientenverhältnis stören und den Verwaltungsaufwand in den Praxen zu Lasten der Patientenversorgung erhöhen, heißt es in einer einstimmig von der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) in Dortmund verabschiedeten Resolution.

"Wir fordern mehr Zeit für unsere Patienten und weniger für die Bürokratie", heißt es dort.

"Vieles in dem Gesetzentwurf ist unausgegoren und nicht ausreichend durchdacht", sagte Dr. Karl-Dieter Stotz, der für die VV eine ausführliche Würdigung des Gesetzes aus ärztlicher Sicht erarbeitet hatte.

Mit den aufwändigen Informations-, Aufklärungs- und Dokumentationspflichten würden den Ärzten Normen vorgegeben, denen sie überhaupt nicht gerecht werden könnten, sagte der Chirurg. "Das ist in unserem Arbeitsalltag schlicht nicht umsetzbar."

Auch durch Anfragen und Ermittlungen der Krankenkassen, die notwendige Korrespondenz mit Haftpflichtversicherern, Anwälten und Ärztekammern drohe den Praxen ein hoher bürokratischer Aufwand.

Die Rede ist von zweieinhalb Stunden Aufwand pro Woche. Das entspricht Bürokratiekosten von 9041 Euro pro Kopf und Jahr. "Wir haben vorsichtig kalkuliert", sagte KVWL-Vorstand Dr. Thomas Kriedel auf der Vertreterversammlung in Dortmund.

Seit 2006 erhebt die KVWL in regelmäßigen Abständen mit der Standardkostenmessung die bürokratischen Belastungen ihrer Mitglieder in verschiedenen Bereichen. Die Auswirkungen des Patientenrechtegesetzes hat sie jetzt mit einer Art Schnellverfahren überschlagen.

"Unser Quick Scan reicht, um die Dimension des Problems aufzuzeigen", sagte Kriedel. Für das Verfahren hatte die KVWL veranschlagt, dass das Gesetz bei 60 Prozent der Fälle einen höheren bürokratischen Aufwand auslöst.

Er besteht aus den zusätzlichen Informationspflichten und der Ausweitung von Standardaktivitäten wie dem Ausfüllen von Daten und der Dateneingabe.

Pro Fall geht die KVWL von einem durchschnittlichen Mehraufwand von vier Minuten aus, was sich im Jahr pro Kopf auf 8288 Minuten summiere. Bei einem Arzttarif von 109,09 Cent pro Minute ergeben sich laut KVWL daraus Kosten von 9041 Euro im Jahr.

Für das Patientenrechtegesetz hätten die Mitarbeiter im Gesundheits- und Justizministerium zwar die bürokratischen Belastungen erhoben, dabei aber die Praxen der niedergelassenen Ärzte außer Acht gelassen, erklärte Kriedel.

Dies sei darin begründet, dass es noch keine Ausführungsbestimmungen gebe. "Haben Sie jemals erlebt, dass Ausführungsbestimmungen etwas vereinfachen?" fragte er die Delegierten.

"Querulanten können sich nunmehr mit Bezug auf das Gesetz in Szene setzen", warnte Stotz. Seine Prognose: Die Zahl der haftungsrechtlichen Auseinandersetzungen wird zunehmen, die Prämien für die Haftpflichtversicherung werden teurer und die Abhängigkeit der Ärzte von den Versicherern wird größer.

All das sei nicht dazu angetan, den ärztlichen Nachwuchs für die Niederlassung zu begeistern. "Das könnte irgendwann dazu führen, dass es zwar ein wunderbares Patientengesetz gibt, aber nicht genügend Behandler, um es umzusetzen", sagte Stotz.

Die KVWL-Delegierten waren sich einig in der Ablehnung des Gesetzes. Die Einschätzung des Deutschen Ärztetages, dass die Ärzteschaft mit dem Gesetz leben könne, sei ein Irrtum, sagte der Radiologe Dr. Thilo-Andreas Wittkämper.

"Das Gesetz mag für maximal 50 Prozent der Patienten gut sein, denn für die anderen haben wir keine Zeit mehr." Hausarzt Dr. Michael Gemmeke betonte: "Wir erleben eine zunehmende Amerikanisierung des Gesundheitssystems, aber ohne die amerikanische Bezahlung," sagte er.

Allgemeinmediziner Dr. Heinrich Kleine Wortmann erwartet, dass nach Verabschiedung des Gesetzes kein Arzt mehr legal arbeiten kann.

Sein Vorschlag: "Wir müssen im Schulterschluss mit den Ärztekammern und den Krankenhäusern sagen: Ab dem 1. Januar arbeiten wir nicht mehr, wir streiken."

Dem mochten sich die meisten seiner Kollegen nicht anschließen. Viele forderten aber eine stärkere öffentlichwirksame Positionierung der ärztlichen Standesorganisationen gegen das Gesetzesvorhaben.

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