Bundestag bringt Pflegereform auf den Weg

Ende 2010 rief der damalige Gesundheitsminister Philipp Rösler das Jahr der Pflege aus. Nun sind mehr Hilfen für Demenzkranke und der "Pflege-Bahr" beschlossen. Opposition und Regierung kündigen aber bereits die nächste Reform an.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr stimmt während der namentlichen Abstimmung im Bundestag in Berlin für eine Reform der Pflegeversicherung.

Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr stimmt während der namentlichen Abstimmung im Bundestag in Berlin für eine Reform der Pflegeversicherung.

© Hannibal / dpa

BERLIN. Rund 1,2 Millionen Demenzkranke leben in Deutschland. Ihre Zahl nimmt laufend zu.

In 50 Jahren, rechnen Wissenschaftler hoch, müsse die Gesellschaft bereits 2,5 Millionen an einer Demenz erkrankten Menschen versorgen. Die Demenzkranken standen am Freitag im Mittelpunkt einer Debatte des Bundestages.

Die Pflegereform, die der Bundestag nach der Aussprache beschlossen hat, überzeugt nicht alle.

Geschlossen haben die Abgeordneten von SPD, Grünen und Linken gegen das "Pflegeneuausrichtungsgesetz" gestimmt. Arbeitgeber und Sozialverbände kritisierten das Reformwerk als ungenügend.

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) verteidigte die Reform im Bundestag. "Wir konzentrieren uns darauf, die Familien in Deutschland zu stützen, die die Hauptlast der Pflege tragen", sagte Bahr.

Angehörige und Pflegebedürftige bekämen in Zukunft mehr Wahlfreiheiten, um die Pflege an ihre individuellen Bedürfnisse anzupassen. Ziel sei, dass die Menschen so lange wie möglich in ihrem häuslichen Umfeld bleiben könnten und nicht ins Heim gehen müssten, sagte Bahr.

SPD und Grünen warf er vor, in ihrer Regierungszeit nichts für die Pflegebedürftigen unternommen zu haben. "Das muss immer christlich-liberal machen", rief er den Abgeordneten der Opposition zu. Union und FDP hatten 1995 die Soziale Pflegeversicherung eingeführt.

Augenwischerei, Täuschung, Skandal und Armutszeugnis waren häufig genutzte Begriffe, mit denen die Rednerinnen und Redner der Oppositionsfraktionen die Reform bedachten.

Kritik: Zwei-Klassen-Pflege

"Die sogenannte Pflegereform ist ein Stück aus dem Tollhaus", sagte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Elke Ferner.

Zwei Punkte bilden den Kern der Oppositionskritik. Der eine ist, dass es nach wie vor keine neue Definition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs gibt.

Dieser sei aber Voraussetzung einer Reform und könne nicht nachträglich eingebaut werden, bemängeln Opposition und Pflegeverbände.

Der andere ist die staatlich geförderte Absicherung von Pflegerisiken, der "Pflege-Bahr". Grüne und Linke argumentierten dagegen, dass die Zuschüsse voraussichtlich nur ohnehin wohlhabende Menschen erreichten.

Menschen am unteren Ende der Einkommensskala könnten sich die Absicherung mit und ohne Zuschuss nicht leisten. "Das führt am Ende zu einer Zwei-Klassen-Pflege", sagte Katrin Senger-Schäfer von den Linken.

Die Grünen Politikerin Elisabeth Scharfenberg räumt der Reform keine große Zukunft ein. "Ich gehe fest davon aus, dass wir in der nächsten Legislaturperiode genügend Unterstützung haben, diesen Unfug wieder rückgängig zu machen", sagte sie.

Auch auf Verbraucherseite herrscht Enttäuschung. Die Regierung habe das vom Koalitionsvertrag vorgegebene Ziel einer großen Pflegereform nicht erreicht.

Die angepriesenen Leistungsverbesserungen griffen zu kurz, sagte der Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch. "Diese Pflegereform bringt kaum Qualitätsverbesserungen", sagte Brysch.

Zum Beispiel fehle ein transparenter Pflege-TÜV. Betroffene müssten weiter Angst vor schlechter Pflege haben.

Was die Reform neu regelt - ausgewählte Punkte

  • Bessere ambulante Versorgung Demenzkranker: Pflegedienste bieten künftig Grundpflege, hauswirtschaftliche Versorgung und Betreuungsleistungen an. Ab 2013 gibt es höhere Leistungen für Demenzkranke.
  • Auch in teilstationären Pflegeeinrichtungen der Tages- und Nachtpflege können zusätzliche Betreuungskräfte eingesetzt werden, die komplett von der Pflegeversicherung finanziert werden.
  • Angehörige von Pflegebedürftigen können leichter eine Auszeit nehmen. Das Pflegegeld wird zur Hälfte weitergezahlt, wenn sie eine Kurzzeit- oder Verhinderungspflege für ihren Pflegebedürftigen in Anspruch nehmen.
  • Für Selbsthilfegruppen in der Pflegeversicherung werden zehn Cent pro Versicherten und Jahr, insgesamt acht Millionen Euro jährlich, bereitgestellt.
  • Pflegekassen müssen Antragstellern binnen zwei Wochen einen Beratungstermin anbieten.

Wie die Pflegereform kommentiert wird

Die Pflegereform ist auf ein kritisches Echo gestoßen. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) begrüßte die Verbesserungen besonders für demenzkranke Menschen. Viele Betroffene würden aber leer ausgehen, weil sie in Heimen betreut werden. Der bpa nannte es "nicht nachvollziehbar", dass nur ambulant versorgte Pflegebedürftige der Pflegestufen 0 bis II mehr Leistungen erhalten sollen.

Der Chef der Barmer GEK, Christoph Straub, zeigte sich "ernüchtert" über die Reform angesichts der selbstgesteckten Ziele der Koalition. Er kritisierte, dass trotz jahrelanger Vorbereitungen kein neuer Pflegebedürftigkeitsbegriff vorliegt, der die Eingruppierung von Demenzkranken in Pflegestufen ermöglichen soll.

Der Sozialverband VdK nannte die Reform "unzureichend." Ab 2013 solle es für psychisch kranke Menschen 120 bis 225 Euro Pflegegeld pro Monat geben. Das seien vier bis 7,50 pro Tag für die Angehörigen, um Betreuung zu organisieren. Das sei "bestenfalls eine Geste guten Willens". (fst)

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