Abbau, Neubau, Aufbau einer neuen Kultur

Berlin Chemie AG gehört zu den wenigen Unternehmen aus der DDR-Zeit, die eine Erfolgsgeschichte geworden sind. Über den Umbau, Exporterfolge in Russland und die besondere Kultur des Unternehmens sprach Helmut Laschet mit Vorstandschef Dr. Reinhard Uppenkamp.

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Ärzte Zeitung: Die Berlin Chemie AG gehört zu den wenigen Unternehmen der ehemaligen DDR, aus denen eine Erfolgsgeschichte wurde. Warum?

Uppenkamp: Der Hauptgrund ist, dass Berlin Chemie nach wenigen Jahren bei der Treuhand einen Käufer gefunden hat, der eine langfristige Strategie hatte, der nicht in Quartalen, sondern in Dekaden dachte. Und der bereit war zu investieren.

Ärzte Zeitung: Charakteristisch für die sozialistische Planwirtschaft war ja die Arbeitsteilung im Comecon. Welche Rolle spielte darin Berlin Chemie?

Uppenkamp: Das Unternehmen war nur Handelspartner, gesteuert vom Außenhandelsministerium. Berlin Chemie war wichtiger Lieferant für Russland - aber alles war vom Staat vorgegeben, es gab keine Eigenständigkeit.

Ärzte Zeitung: Wie sah damals das Produktportfolio aus?

Uppenkamp: Wir haben alle möglichen chemisch-technischen Erzeugnisse produziert, Feuerlöschmittel, Pflanzenschutzmittel. Ein Drittel der Produktion machte die Pharmasparte aus. Wir waren der Hauptexporteur von Arzneimitteln in die osteuropäischen Staaten, vor allem nach Russland.

Ärzte Zeitung: Waren die Verbindungen nach Osteuropa ein Aspekt für Menarini, Berlin Chemie 1992 zu kaufen?

Uppenkamp: Man ging bei der italienischen Mutter davon aus, dass Berlin eine Drehscheibe nach West und Ost sein würde.

Ärzte Zeitung: Was nicht so ganz funktioniert hat…

Uppenkamp: Wenn, dann war Berlin eher eine Drehscheibe nach Osten. Aber mit einer sehr schwachen Infrastruktur.

Ärzte Zeitung: Das war also Pionierarbeit. Haben persönliche Kontakte nach Osteuropa und Russland eine Rolle gespielt?

Uppenkamp: Das könnte man meinen, wenn man von außen draufguckt. Man darf aber nicht vergessen, dass sich das zuvor kommunistische System wandelte. Überall wurden auch die Menschen ausgetauscht. Außerdem hatten Lieferanten und Abnehmer im dirigistischen System praktisch keine Kontakte. Ganz konkret schlug sich das in Zahlen nieder: Von 2800 Menschen, die damals bei Berlin Chemie arbeiteten, waren 36 im Vertrieb.

Das war die Situation Ende 1992. Und die Beschlusslage für Menarini war sehr einfach: Wir fangen von vorne an und bauen neu auf. Mit dem ersten Mitarbeiter in Russland, mit dem ersten Mitarbeiter im Baltikum, in Polen. Dabei fiel eine Grundsatzentscheidung: Man hat Einheimische eingestellt, keine Deutschen.

Ärzte Zeitung: Was mussten diese Mitarbeiter können?

Uppenkamp: Idealtypisch wären Mitarbeiter mit medizinischen Fähigkeiten und Kommunikationstalent gewesen. Nur diese Tugenden waren fast nicht vorhanden. Die wichtigste Eigenschaft war die Bereitschaft zu lernen. Und diese Mitarbeiter mussten wir natürlich auch integrieren.

Ärzte Zeitung: Das bedeutete doch auch für Zentrale in Berlin eine völlig neue Unternehmenskultur?

Uppenkamp: Absolut. Das war die Herausforderung. Wir hatten gleichzeitig Abbau, Neuaufbau, Entwicklung einer neuen Kultur.

Ärzte Zeitung: Und Sie mussten Produkte haben, die auch im Westen konkurrenzfähig waren.

Uppenkamp: Wir haben einige Medikamente gehabt, die im Osten etabliert waren, die aber auch im Westen eingeführt werden konnten: Antihypertonika, ACE-Hemmer. Aber wir mussten auch neue Produkte schaffen.

Ärzte Zeitung: Was hat Menarini dazu geleistet?

Uppenkamp: Menarini hat vielfältige Kooperationen mit anderen forschenden Unternehmen und betreibt ein aktives Lizenzgeschäft mit 40 Partnern. Es hat sich herausgestellt, dass dies das wahre Asset ist, aus dem Berlin Chemie seine Innovationen bekommt, heute mit den Schwerpunkten Herz-Kreislauf-Sektor, Diabetes und Schmerztherapie.

Ärzte Zeitung: Berlin Chemie ist für sein gesellschaftliches Engagement bekannt. Welche Ausprägungen hat das?

Uppenkamp: Wir erleben im Moment die größte Wirtschafts- und Finanzkrise der Nachkriegszeit. Gerade jetzt muss man zu seinen Werten stehen und Kontinuität zeigen. Konkret heißt das für uns: Wir geben Menschen Arbeit, und wir bilden Menschen aus. Wir haben 100 Mitarbeiter in der Ausbildung - weit mehr, als unser Bedarf ist.

Hinzu kommt die interne Weiterbildung, auch in Osteuropa. Denn man kann heute nicht stehenbleiben.

Ärzte Zeitung: Knüpfen Sie dabei auch an Traditionen an?

Uppenkamp: Wir haben 40 Mitarbeiter in einer geschützten Werkstatt, und die sind voll in den ganzen Betrieb integriert. Das ist auch eine Herausforderung: Denn für diesen Bereich braucht man dreimal mehr Führungskräfte. Aber es eine reine Freude, diese Integration zu sehen.

Ärzte Zeitung: Wie sehen Sie die zukünftige Rolle des Arztes, der Ihr Medikament verschreibt. Bleibt er der wichtigste Partner?

Uppenkamp: Er bleibt der wichtigere. Aber es kommen neue Partner hinzu, vor allem die Krankenkassen. Und es wird in Zukunft einen neuen Partner geben: den Arbeitgeber.

Ärzte Zeitung: Der Arbeitgeber?

Uppenkamp: Wir werden langfristig Arbeitskräftemangel haben. Wir müssen immer stärker auf die Gesundheit unserer Mitarbeiter achten. Und das machen wir sehr intensiv in der Prävention. Wir arbeiten mit Krankenkassen zusammen und haben auf die jeweilige Arbeitssituation des Mitarbeiters zugeschnittene Präventions-, aber auch Behandlungsprogramme. Was ein Unternehmen für Mitarbeiter leistet, muss nicht nur aus Einkommen und Boni in Geld bestehen - das können auch Gesundheitsboni sein. Warum soll eine Sekretärin nicht einen teureren und besseren Stuhl haben als der Chef?

Ärzte Zeitung: Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?

Uppenkamp: An erster Stelle muss Deregulierung stehen. Gesetze müssen regelmäßig auf ihre Wirksamkeit geprüft werden, vor allem weil in den letzten Jahren vieles beschlossen worden ist, was sich gegenseitig aufhebt. Das zweite ist: Man muss sich in der Gesundheitspolitik von Ideologien befreien. Das betrifft auch das IQWiG mit seinen Entscheidungen, die wir medizinisch-naturwissenschaftlich nicht nachvollziehen können. Damit muss Schluss gemacht werden.

Hervorragendes Image bei den Ärzten

Stark überdurchschnittliches Wachstum in Deutschland, rekordverdächtige Erfolge beim Export - was erklärt die Dynamik von Berlin Chemie?

Das Unternehmen, das 1992 von der italienischen Menarini Gruppe der damaligen Treuhand abgenommen wurde, startete völlig neu und fokussierte sich auf Ärzte als die wichtigste Zielgruppe.

Die Wertschätzung des Unternehmens bei Ärzten kommt in einer im vergangenen Jahr von TNS Healthcare gemachten Umfrage verschiedener Arzneimittelhersteller zum Ausdruck. Auf die Frage nach den drei pharmazeutischen Unternehmen, durch die sich Ärzte in besonderem Maße in ihrer täglichen Praxisarbeit unterstützt fühlen und die sich durch ihre Serviceleistungen deutlich von anderen Pharmafirmen abheben, wurde Berlin Chemie von den Ärzten auf den ersten Rang platziert - und zwar mit deutlichem Vorsprung.

Auf den vorderen Plätzen rangiert Berlin Chemie ebenso, was das Urteil der Ärzte über die Nützlichkeit der Präparate in der täglichen Arbeit angeht. Lediglich drei forschende und ein Generika-Unternehmen weisen noch etwas bessere Werte auf.

Fast 50 Prozent des Umsatzes in Deutschland macht Berlin Chemie mit Herz-Kreislauf-Mitteln. An zweiter Stelle mit einem Anteil von 30 Prozent stehen Antidiabetika.

Seit Mitte der 90er Jahre hat sich der Umsatz in Deutschland verfünffacht. Das Exportgeschäft, das sehr stark auf Russland und den osteuropäischen Raum konzentriert ist, stieg auf das Zwanzigfache. (HL)

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ZUR PERSON

Dr. rer. nat. Reinhard Uppenkamp

Der heute 59-jährige promovierte Chemiker ging fing seine Karriere 1980 bei der Hoechst AG an, leitete die Med-Wiss-Abteilung und den Außendienst. Bei Schwarz Pharma verantwortete er von 1989 bis 1994 das Geschäft in Ost- und Nordeuropa und war zugleich Geschäftsführer der Isis Pharma in Zwickau. Als Vorstand Marketing und Vertrieb arbeitete Uppenkamp von 1994 bis 1997 bei Madaus in Köln. 1997 wurde er in den Vorstand der Berlin Chemie AG berufen, deren Vorstandsvorsitzender er seit 2002 ist.

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