Interview

"Ich kenne das Gesundheitswesen aus eigener Erfahrung sehr gut"

Christine Clauß ist seit August Gesundheitsministerin in Sachsen. Über die Herausforderungen bei ihrer Arbeit sprach die Mitarbeiterin der "Ärzte Zeitung", Katlen Trautmann, mit der Christdemokratin.

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"Mein Beruf als Krankenschwester war prägend." Christine Clauß Gesundheitsministerin von Sachsen

Ärzte Zeitung: Sie sind seit kurzem Gesundheitsministerin von Sachsen. Bis vor einigen Jahren haben sie auf der Intensivstation einer Leipziger Klinik gearbeitet. Wie beeinflusst das Ihren Blick auf die Gesundheitspolitik?

Clauß: Die Perspektive der Praxis ist mir tatsächlich sehr nahe. Ich habe in der Klinik Menschen in Grenzsituationen erlebt. So ein Beruf ist außerordentlich prägend. Deshalb ist mir wichtig, bei Gesetzesvorlagen und Entscheidungen der Meinung der Betroffenen Aufmerksamkeit einzuräumen.

Ärzte Zeitung: Der Gesundheitsfonds kommt. Welche Erwartungen oder Sorgen verknüpfen Sie damit?

Clauß: Sachsen hat damals im Bundesrat bewusst nicht zugestimmt, weil er nach unserer Ansicht nicht nötig gewesen wäre. Dass er kommt, ist nun gewiss. Sachsen hat nach der Wende ein schlankes effizientes Gesundheitssystem aufgebaut. Wir wollen diese Vorteile für Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht aufgeben. Deswegen kämpfen wir auch für das Entschärfen der Konvergenzklausel.

Ärzte Zeitung: Bislang zahlen Sachsen vergleichsweise niedrige Kassenbeiträge. Der neue bundesweit einheitliche Beitragssatz bedeutet voraussichtlich Mehrausgaben.

Clauß: Wir müssen das im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Lage sehen. Die aktuellen Beitragssätze zwischen 11,8 und 12,9 Prozent bei Kassen unter Landesaufsicht sind für Arbeitgeber ein Standortvorteil bei den Lohnnebenkosten, den wir durch den Gesundheitsfonds - gegen unseren Willen - verlieren. Wenn wir unsere Position bei der Konvergenzregelung durchsetzen können, besteht zumindest die Möglichkeit, dass Mitglieder die Mehrbelastung im Wege einer Prämienzahlung von ihrer Krankenkasse teilweise zurückgezahlt bekommen.

Ärzte Zeitung: Hausärzte tragen für die Anhebung nicht die Verantwortung. Gleichwohl werden sich Patienten in den Praxen Luft machen. Haben Sie Tipps für Hausärzte für die erfolgreiche Kommunikation?

Clauß: Wenn die Menschen nach und nach merken, dass sie weniger Geld in der Tasche haben, wird tatsächlich eine Diskussion beginnen. Obwohl es sich um ein Bundesgesetz handelt, das weder Sachsen noch die Ärzte zu verantworten haben, wird unsere Aufgabe sein, es richtig zu kommunizieren.

Ärzte Zeitung: Ein Kritikpunkt Sachsens an der Gesundheitsreform - die Schere zwischen Honoraren Ost und West - ist entschärft. Eine weitere Baustelle - der Ärztemangel- dagegen ist noch offen. Wie weit wird das höhere Honorarvolumen den Mangel in Sachsen dämpfen ?

Clauß: Ich bin froh, dass die sächsischen Ärzte für ihre hohe Leistung nun die entsprechende finanzielle Anerkennung finden. Das Vergütungsniveau von 95 Prozent dürfte dazu beitragen, auch mehr Nachwuchsmediziner in Sachsen zu gewinnen. Ich gehe davon aus, dass die für die Sicherstellung zuständige KV Sachsen nun bessere Möglichkeiten und die entsprechende Motivation besitzt, Lösungen zur Ansiedlung von Ärzten in Sachsen zu initiieren.

Ärzte Zeitung: Wo sehen Sie Chancen, Mediziner für die Niederlassung zu begeistern?

Clauß: Ich weiß zum Beispiel, dass Medizinstudenten aus dem ländlichen Raum eher für die Rückkehr in ihre Region zu gewinnen sind als ihre Kommilitonen aus der Stadt. Das ist bei Akademikern anderer Fachrichtungen auch so. Warum soll es bei Ärzten anders sein? Die Staatsregierung hat zudem ein Maßnahmepaket beschlossen. Wir werden mit der KV und der Landesärztekammer Lösungen ausleuchten, die darüber hinaus gehen. Dabei darf es keine Denkverbote geben.

Ärzte Zeitung: Welche Rolle spielt nach Ihrer Ansicht das moderne Bild des Arztes als freier Beruf bei der Wahl zwischen Niederlassung und Anstellung?

Clauß: Der Arztberuf bleibt ein freier Beruf. Dazu bekenne ich mich. Debatten um MVZ oder Extraverträge ändern daran nichts. Wenn Ärzte Extraverträge und MVZ wollen, ist das in Ordnung. Aber wenn Niedergelassene aus den Regelkreisen ausgeschlossen werden, ist die freie Berufsausübung beeinträchtigt. Ich plädiere für ein gleichberechtigtes Miteinander dieser Strukturen - je nach Lebens- und Arbeitssituation des Arztes.

Ärzte Zeitung: Aktuelle Umfragen zeigen, dass der Beruf des Hausarztes unter Medizin-Studenten als wenig attraktiv gilt.

Clauß: Die Stellung des Hausarztes sollte gestärkt werden. Denn der Hausarzt hat bei Patienten ein ausgesprochen gutes Image, vor allem im ländlichen Raum. Man muss die Akteure einen, nicht spalten. Noch wichtiger ist aber die Stärkung der allgemeinmedizinischen Ausbildung im universitären Betrieb.

Ärzte Zeitung: Was halten sie von der Übernahme ärztlicher Leistungen durch Pflegekräfte?

Clauß: Man kann die Übertragung nicht originärer ärztlicher Tätigkeiten an Schwestern als Entlastung für das Gesamtsystem sehen. Langfristig wird uns nicht viel anderes übrig bleiben, beispielsweise wegen des zunehmenden Wunsches nach Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Solche Änderungen darf man nicht überstülpen, sondern muss sie gemeinsam ausloten. Die Arbeit des medizinischen Fachpersonals in Praxen und Kliniken verdient mehr Aufmerksamkeit. Ausschlaggebend ist: Der Arzt entscheidet, ob er entlastet werden möchte.

Ärzte Zeitung: Wie erfolgreich ist das Gemeindeschwester-Projekt?

Clauß: Sachsen war hier Vorreiter. Fünf Gemeindeschwestern leisteten bis April 2008 im Auftrag von vier Praxen 1400 Hausbesuche bei rund 400 Patienten. Die Akzeptanz ist fantastisch. In Umfragen stimmten 94 Prozent der befragten Patienten dieser Lösung zu. Wegen seines Erfolges wurde das Projekt bis Ende 2008 verlängert. Wenn die Finanzierung in der Regelversorgung klar ist kann jeder Arzt selbst entscheiden, ob er mit einer Gemeindeschwester arbeiten möchte.

Ärzte Zeitung: Kliniken arbeiten schon länger mit Fallpauschalen. Werden diese aus ihrer Erfahrung der medizinischen Praxis gerecht?

Clauß: Für die Krankenhäuser hat es sich insofern bewährt, als sich damit Abläufe überschaubarer planen und Synergien gewinnen lassen. Den Patienten aber nun nur noch als "Diagnose" zu sehen, ist mir zu wenig. Der Mensch ist keine Fallpauschale.

Zur Person

Christine Clauß kam am 10. Februar 1950 im Erzgebirge zur Welt und verlebte dort ihre Kindheit. Über Plauen und Halle führte sie der Beruf als Krankenschwester 1969 nach Leipzig. Mehr als 24 Jahre arbeitete sie dort in der Städtischen Frauenklinik. 1999 zog sie in den Sächsischen Landtag und wurde neun Jahre später Landesgesundheitsministerin.

Clauß ist mit einem Theologen verheiratet, hat einen Sohn und zwei Enkel.

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