Kassen entdecken Kranke als neue Zielgruppe

Gut eingestellte Kranke sind die neuen Lieblinge der Kassen. Grund ist der neue Risikostrukturausgleich im Gesundheitsfonds, sagt der Gesundheitsweise Eberhard Wille.

Von Bülent Erdogan Veröffentlicht:

BERLIN. Der Gesundheitsfonds führt bei den Krankenkassen zu einer Neuausrichtung ihres Versichertenmanagements. Zu diesem Schluss kommt der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Professor Eberhard Wille, gut sechs Monate nach Einführung des Fonds.

Statt wie früher um junge, gesunde und finanzstarke Versicherte zu buhlen, stünden heute gut gemanagte kranke Patienten im Fokus der Kassen, sagte der Gesundheitsweise am Dienstag auf einer Euroforum-Konferenz in Berlin. Grund sei der gleichzeitig mit dem Fonds eingeführte morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (MRSA), der für 80 Diagnosen zusätzliche Zuweisungen vorsieht. "Das wäre noch vor Einführung der neuen Regelungen nicht vorstellbar gewesen", sagte Wille. Gut verdienende Mitglieder seien unter den neuen Bedingungen hingegen nur noch "mittelbar interessant", weil sie vergleichsweise gesund seien. Für diese Versicherten erhalten die Kassen aus dem Fonds lediglich Grundpauschalen.

Allerdings versetze die neue MRSA-Systematik Ärzteverbände in Verbindung mit dem Zwang der Kassen zum Abschluss von Hausarztverträgen, in die Lage Druck auszuüben, so Wille. Schließlich seien die Kassen von den Diagnosestellungen der Ärzte abhängig. Wille kritisierte in diesem Zusammenhang den Chef des Bayerischen Hausärzteverbandes Dr. Wolfgang Hoppenthaller. AOK und Hausärzteverband in Bayern sind Vertragspartner. Hoppenthaller hatte seine Mitglieder Ende 2008 in einem Schreiben zu einer exklusiven Prüfung der Diagnosen von AOK-Versicherten aufgefordert. Der Gesundheitsweise bezeichnete dies als "Aufruf zum Betrug".

Zweifel sind Wille zufolge derweil an der Innovationskraft von IV-Verträgen angebracht: Von den über 6000 Integrationsverträgen sind laut einer Erhebung des Sachverständigenrates nur 55 populationsbezogen und weniger als zehn sektorübergreifend, erläuterte Wille vorab ein Ergebnis des nächsten Gutachtens der Sachverständigen. Dieses soll Ende des Monats vorgestellt werden.

Für den Gesundheitsfonds erwartet der Wissenschaftler Ende 2010 ein Defizit zwischen neun und zwölf Milliarden Euro.

Für Fachkreise: BVA-Chef attackiert Hausarztvertrag in Bayern

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