Ex-Superminister sieht GKV am Scheideweg

Die nächste Bundesregierung sollte wieder den Rückzug aus dem Gesundheitssystem antreten, fordert der frühere Wirtschaftsminister und SPD-Abtrünnige Wolfgang Clement. Auch die Kassen drängen auf mehr Freiheit.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:

Wir müssen uns endlich von der Mentalität lösen, der Staat müsse alles entscheiden. Wolfgang Clement Ex-Bundeswirtschaftsminister

BERLIN. Für eine Entstaatlichung des Gesundheitssystems hat sich der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement, ausgesprochen. "Wir brauchen mehr Wettbewerb und mehr Eigenverantwortung", sagte Clement auf dem 2. Deutschen Internistentag am vergangenen Freitag in Berlin.

Der Staat habe seine Rolle im Gesundheitswesen zuletzt überstrapaziert. Herausgekommen sei ein Wust an Gesetzen und Regelungen, die kaum noch zu durchschauen seien. Der Staat als "permanenter Reparaturbetrieb" gehöre der Vergangenheit an, auch wenn sich das noch nicht ins Bewusstsein aller Bundesbürger eingegraben habe, sagte der ehemalige SPD-Politiker.

Jetzt gehe es darum, so Clement weiter, für mehr Transparenz im Gesundheitssystem zu sorgen. Dazu gehöre auch der Schritt, in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) das Prinzip der Kostenerstattung einzuführen. Bei den Versicherten führe dies zu einer "höheren Sensibilität" darüber, was medizinische Leistungen eigentlich kosten, so Clement.

Die gesetzliche Krankenversicherung werde in Zukunft nicht mehr für alle Leistungen aufkommen können, sondern sich auf eine medizinische Grundversorgung der Patienten beschränken müssen, stellte er klar. Deshalb sei "der Aufbau eines privaten Kapitalstocks in der GKV notwendig, so wie er in der Rentenversicherung schon vorhanden ist".

Die Krankenkassen rief Clement auf, bei ihren Versicherten stärker als bisher gesundheitsbewusstes Verhalten zu fördern. In Form von Wahltarifen könnten dafür "intelligente Anreize" gesetzt werden.

Ich glaube, dass diese Wettbewerbsentscheidung unumkehrbar ist. Johann-Magnus von Stackelberg Vizechef GKV-Spitzenverband

Der Vizechef des GKV-Spitzenverbandes, Johann-Magnus von Stackelberg, forderte bei planbaren stationären Leistungen mehr Freiheiten der Kassen für den Abschluss von Einzelverträgen mit Krankenhäusern. Ein Kontrahierungszwang der Kassen für alle Leistungen und mit allen Kliniken widerspreche der marktwirtschaftlichen Grundordnung der Bundesrepublik, sagte er am zweiten Kongresstag.

Eine geordnete Öffnung der Kliniken müsse es darüber hinaus auch bei ambulant erbringbaren Leistungen geben. Hierfür müsse in der kommenden Legislaturperiode ein Ordnungsrahmen gesetzt werden.

Von Stackelberg erneuerte die Kritik der Kassen am Quasi-Monopol des Deutschen Hausärzteverbandes bei der hausarztzentrierten Versorgung nach Paragraf 73b SGB V. Dieser Passus sei ein "Overkill, Wahnsinn, Blödsinn". Als Wahloption seien Hausarztverträge sinnvoll, nicht aber als Zwang. Zwar sei es nicht Aufgabe von Körperschaften, gesetzliche Regelungen zu torpedieren. "Aber Unsinn umzusetzen fällt schwer", fügte er an.

Mit Blick auf die derzeit geltenden Hausarztverträge forderte der Verbandsfunktionär, auch für Selektivverträge die Erhebung von Qualitätsdaten sowie deren Übermittlung an den Gemeinsamen Bundesausschuss zur Pflicht zu machen. Das Motto müsse lauten: "Kollektiv messen, selektiv kontrahieren."

Laut von Stackelberg ist der Zug für eine Zurückdrängung der unter Schwarz-Rot forcierten wettbewerblichen Elemente in der GKV-Versorgung abgefahren. Dies gilt für ihn unabhängig von der künftigen politischen Konstellation auf Bundesebene. "Ich glaube, dass diese Wettbewerbsentscheidung unumkehrbar ist", so von Stackelberg.

Lesen Sie dazu auch: Internisten fordern Priorisierungsdebatte Ärztemangel bedroht Kliniken 30 000 Mediziner nehmen an Umfrage zu Weiterbildung teil

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