Gesundheitsweiser nimmt Ärzte in Schutz

Ist der Risikostrukturausgleich des Gesundheitsfonds ein Einfallstor für Mauscheleien von Kassen und Ärzten? Der Gesundheitsweise Gerd Glaeske gibt Entwarnung.

Von Bülent Erdogan Veröffentlicht:

BERLIN. Der Gesundheitsweise Professor Gerd Glaeske sieht derzeit keine handfesten Anzeichen für ein systematisches "Ausplündern" des Gesundheitsfonds durch Kassen und Ärzte. Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" widersprach Glaeske einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel". Dieser hatte die Vergütungssystematik des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs (Morbi-RSA) unter Verweis auf Äußerungen von Kassenmanagern als Einfallstor für Manipulationen ausgemacht.

Hintergrund: Für 80 Diagnosen erhalten die Kassen unter bestimmten Bedingungen zusätzliche Gelder aus dem Fonds für die Behandlung von Patienten mit chronischen oder besonders teuren Erkrankungen: Dafür müssen die Kassen in mindestens zwei Quartalen eines Jahres eine der 80 Diagnosen oder aber eine Diagnose als Haupt- oder Nebendiagnose während eines Krankenhausaufenthalts beim Bundesversicherungsamt (BVA) vorweisen. Für bestimmte chronische Diagnosen muss eine Medikation über mindestens 183 Tagesdosen erfolgen, bei bestimmten akuten Erkrankungen sind es zehn Tagesdosen.

Zwar gebe es für die Kassen theoretische Manipulationsmöglichkeiten durch den zuweisungsauslösenden Charakter ärztlicher Diagnosen, sagte Glaeske. Um ungerechtfertigte Zuweisungen zu erhalten, führe für die Kassen aber kein Weg an der Ärzteschaft vorbei. "Wenn eine Kasse den Morbi-RSA ausplündern will, dann geht das nur mit den Ärzten. Ich glaube aber, dass diese hierfür eher unanfällig sind." Allerdings schränkte Glaeske seine Aussage mit Blick auf den Bayerischen Hausärzteverband ein. Dieser hatte seine Mitglieder als Hausarztvertragspartner der AOK Bayern aufgefordert, Diagnosen von AOK-Versicherten mit Blick auf den Morbi-RSA genau zu prüfen.

Als manipulationserschwerend kommt für Glaeske hinzu, dass die Morbi-Diagnosen aus diesem Jahr erst im nächsten Jahr zusätzliche Zuweisungen auslösen. Hierbei könnten sich die Kassen auch verrechnen. Tatsächlich hatte BVA-Präsident Josef Hecken (CDU) mehrfach betont, auffällige Häufungen von Morbi-Diagnosen zu prüfen und notfalls mit einer Reduzierung der Überweisungsbeträge zu reagieren (wir berichteten). Glaeske betonte, dass das für 2009 erwartete Defizit des Gesundheitsfonds nichts mit dem Morbi-RSA zu tun habe.

Die Kassen nutzen die Koalitionsverhandlungen derweil, um bei Union und Liberalen für ihre Interessen zu werben: Der BKK-Landesverband Bayern forderte, sowohl den Fonds abzuschaffen als auch die Verteilung der Gelder nach dem Morbi-RSA zu beenden. So stimme bei Dialysepatienten die Codierpraxis der Ärzte nicht mit den Diagnosekriterien im Morbi-RSA überein, weil Behandlungen nicht als solche dokumentiert worden seien. "Etliche Krankheitsfälle" von Multipler Sklerose seien nur für ein Jahr codiert worden, obwohl es sich um eine unheilbare Krankheit handele. Darüber hinaus würden Kassen mit hohen Krankengeldausgaben benachteiligt. "Der Morbi-RSA in seiner jetzigen Form ist die Totgeburt der gesetzlichen Krankenversicherung", so Werner Rychel, Vorstand des BKK-Landesverbands.

Der Vizechef des AOK-Bundesverbands, Jürgen Graalmann, sprach sich dafür aus, ein Kernstück der Gesundheitsreform 2007, die Orientierung der ärztlichen Vergütung an der Morbiditätsentwicklung, für vier Jahre auszusetzen. Stattdessen solle die Ausgabenentwicklung der GKV an wieder an die Grundlohnsumme der Arbeitnehmer gekoppelt werden. "Alle Kostensteigerungen bei den Leistungsausgaben sollen dazu - befristet bis 2013 - an die Wachstumsraten der deutschen Wirtschaft gebunden werden."

Lesen Sie dazu auch: AOK will Honorare kappen

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