Merkels Votum für die kleine Kopfpauschale

Weitere "Aufwüchse" bei den Gesundheitskosten müssten von Arbeitskosten entkoppelt werden, so die Kanzlerin. Heißt im Klartext kleine Prämie. Die CSU bleibt skeptisch.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:

BERLIN. Oppositionsführer Frank-Walter Steinmeier (SPD) darf als Erster ans Rednerpult im Bundestag treten. Das gehört zu den ungeschriebenen Bräuchen im Parlament - zumindest dann, wenn - wie an diesem Mittwoch - die Generaldebatte über den Bundeshaushalt 2010 ansteht. Da hat die stärkste Oppositionspartei das erste Wort.

Steinmeier lässt kein gutes Haar an der Koalition, wirft ihr Konzeptlosigkeit und Verantwortungslosigkeit vor. "Das war vor sechs Monaten ihre Liebesheirat. Und wir sagen Ihnen heute: Sie stehen vor den Trümmern einer zerrütteten Ehe", lästert er. Kein bisschen einig sei sich die Koalition auch in der Gesundheitspolitik. Da rede jeder, wie ihm der Schnabel gerade gewachsen sei - mal in diese, mal in die andere Richtung. "Mit solcher Politik untergraben Sie Vertrauen in der deutschen Bevölkerung", höhnt Steinmeier.

Das Einzige, was der schwarz-gelben Koalition zum Thema Gesundheit einfalle, sei das Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge zur GKV. In der Konsequenz bedeute das, dass künftige Kostensteigerungen im Gesundheitswesen "einseitig" auf den Schultern der Versicherten abgeladen würden. "Das bricht das Solidaritätsprinzip im Gesundheitswesen." Die Arbeitgeber dürften daher auch künftig nicht aus der Verantwortung genommen werden, wenn es um die Finanzierung des Gesundheitswesens gehe, ruft Steinmeier Union und FDP zu. Und: "Fahren sie das Gesundheitssystem nicht mit der Kopfpauschale gegen die Wand." Der Sozialausgleich für das Prämienmodell sei "unfinanzierbar". Obendrein würden 30 Millionen GKV-Versicherte "zu Bittstellern" gemacht. "Mit großen Fragekatalogen, Formularen und - wer hätte es gedacht - mit noch mehr Bürokratie."

Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die direkt auf Steinmeier antwortet, dreht den Spieß um. Verantwortungslos verhielten sich die Sozialdemokraten, denn sie hätten zum Beispiel keine Antwort auf die Frage, "was man denn tut, um die immer steigenden Lohnzusatzkosten zu vermeiden". Die Bürgerversicherung jedenfalls sei keine Lösung, denn auch sie sei mit einem Arbeitgeberanteil ausgestattet, der perspektivisch steige und damit zu höheren Lohnzusatzkosten führe, so Merkel. Wer aber wolle, dass alle Bürger auch künftig die Gesundheitsversorgung erhielten, die sie bräuchten, der müsse für eine Entkoppelung der "Aufwüchse" bei den Gesundheitskosten von den Arbeitskosten sorgen. "Das ist ein wichtiger Schritt dieser Koalition und dabei werden wir den Gesundheitsminister auch unterstützen, sofern er Unterstützung überhaupt braucht", sagt Merkel. Auch wenn die Kanzlerin Begriffe wie "Prämie" oder "Pauschale" nicht in den Mund nimmt: Ihre Ausführungen dürften wohl auf eine kleine Kopfpauschale hinauslaufen, die zusätzlich zum GKV-Kassenbeitrag zu zahlen wäre.

Der Regierungsrunde zur Reform der GKV-Finanzierung, die am Mittwochnachmittag in Berlin erstmals tagte, obliegt nun die Aufgabe, Reformdetails auszuarbeiten. Einfach wird das nicht, zumal die CSU bei ihrem Widerstand bleibt. "Ob große oder kleine Kopfpauschale - sie bleibt sozial ungerecht", so Bayerns Gesundheitsminister Markus Söder (CSU) in der "Frankfurter Rundschau". Rettungsversuche einer zerrütteten Ehe sehen anders aus.

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