Das Geschäft mit den Wahltarifen klemmt

Kostenerstattung, Beitragsrückerstattung, erhöhte Selbstbehalte bei geringeren Beiträgen - auch in der gesetzlichen Krankenversicherung ist das seit einiger Zeit möglich. Doch das Geschäft floppt. Die PKV nachzuahmen, ist für die meisten Versicherten zu teuer.

Von Anja Krüger Veröffentlicht:
Viele Kassen, viele Wahltarife: Doch das Gros der Versicherten scheut die Angebote - noch.

Viele Kassen, viele Wahltarife: Doch das Gros der Versicherten scheut die Angebote - noch.

© dpa

KÖLN. Die Zeiten des Einheitstarifs in der gesetzlichen Krankenversicherung sind vorbei. Noch führen die so genannten Wahltarife ein Schattendasein. Doch das wird sich ändern, erwarten Experten.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist von dem Plan abgerückt, den Kassen differenzierte Vertragsangebote für ihre Kunden zu verbieten. Seit 2007 dürfen Kassen Selbstbehalts-, Kostenerstattungs-, Beitragserstattungs- und andere Wahltarife wie ein Upgrade auf Privatpatientenniveau anbieten.

Allerdings müssen die Kassen sicherstellen, dass die Einnahmen aus diesen Angeboten zur Deckung der Ausgaben reichen. Bislang mussten sich Versicherte für drei Jahre an die Kasse binden, wenn sie sich für einen Wahltarif entschieden hatten. Künftig sind diese Fristen viel kürzer. Das dürfte die Entscheidung für den Ausbruch aus dem Standardvertrag erleichtern.

Bisher war die Nachfrage verhalten. Nach Angaben des vdek hatten bis Ende Oktober 2010 rund 350.000 Kunden einen Selbstbehaltstarif abgeschlossen, 225.000 einen Kostenerstattungstarif und weniger als 100.000 einen Beitragsrückerstattungstarif.

Für weitere Wahltarife haben sich nur einige Tausend entschieden. Die Barmer GEK mit 8,6 Millionen Versicherten hat für insgesamt 14 Wahltarife nur 42.000 Verträge im Bestand.

Ein Angebot in der neuen Tarifpalette sehen die Kassen ausgesprochen kritisch: die Kostenerstattung. "Das ist nur eine Teilkostenerstattung", sagt Barmer-Sprecher Thorsten Jakob.

Bei diesem Tarif rechnet der Mediziner mit dem Patienten auf der Basis der GOÄ ab, die Kassen erstatten aber nur einen Teil. "Der Versicherte bleibt im Schnitt auf zwei Drittel der Kosten sitzen", sagt er.

Darauf weist die Barmer GEK ihre Kunden ausdrücklich hin. "Es gibt nur wenige, die diesen Tarif möchten, aber denjenigen wollen wir diese Möglichkeit nicht vorenthalten", sagt Jacob.

Die AOKen handhaben das anders. "Die Versicherten haben nichts davon", sagt Udo Barske, Sprecher des AOK Bundesverbands. "Wir bieten das deshalb auch nicht an."

Die Kassen haben den Gestaltungsspielraum bislang kaum genutzt. Das wird sich ändern. "Die Krankenkassen werden bei den Wahltarifen künftig einiges ausprobieren", erwartet Stefan Bause, beim Wirtschaftsprüfer Towers Watson federführend für den Bereich Krankenversicherung.

In Zukunft wird es um zusätzliche Leistungen von Alternativmedizin bis zum Zahnersatz gehen. Bislang decken die Kassen das durch Kooperation mit privaten Anbietern ab.

"Aber es knirscht bei vielen Kooperationen gewaltig", sagt Bause. Für Aufsehen gesorgt hatte im Sommer die Trennung von DKV und den AOKen. Die Interessen der Partner sind zu unterschiedlich, glaubt Bause.

Die Privaten wollen so profitabel wie möglich arbeiten, die gesetzlichen so günstige Angebote wie möglich haben. Außerdem haben die Kassen Angst, dass die Unternehmen bei ihnen wildern und die begehrten gutverdienenden freiwillig Versicherten abwerben.

"Der Trend ist: Die Kooperationen funktionieren nicht", weiß Bause. Zugeben wollen die Partner das nicht - noch sind sie aufeinander angewiesen.

Ohne die Kassen ist für die Privaten der Zugang zu den gesetzlich Versicherten, denen sie Zusatz-Policen verkaufen wollen, erheblich schwerer. Und Kassen brauchen zusätzliche Angebote als wichtiges Wettbewerbsinstrument.

Für die Kassen sind Wahltarife aber ein schwieriges Feld. "Die Kalkulation der Tarife ist sehr anspruchsvoll", sagt Bause. Anders als die privaten Anbieter dürfen die Kassen die Aufnahme in einen Tarif und die Höhe der Prämie nicht vom Gesundheitszustand des Interessierten abhängig machen.

Sie müssen deshalb bei der Kalkulation berücksichtigen, dass vor allem Versicherte Wahltarife wollen, die einen überdurchschnittlich hohen Leistungsbedarf haben.

Wie schwierig das ist, zeigt das Scheitern eines prominenten Wahltarifs. Die Techniker Krankenkasse hat einen Tarif angeboten, mit dem Versicherte den Status eines Privatpatienten erlangen konnten.

Die Kunden nahmen die Leistungen stark in Anspruch - zu stark. Die Krankenkasse stand vor der Wahl, den Tarif zu schließen oder die Beiträge drastisch anzuheben. Sie entschied sich für die Schließung des Wahltarifs.

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