Kassen knausern bei Mutter-Kind-Kuren

Nach dem Ärger um die City BKK stehen die Kassen wieder in der Kritik. Dieses Mal geht es um Mutter-Kind-Kuren, die von den Kassen offenbar nur sehr widerwillig bewilligt werden.

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Mütter und Kinder entspannen gemeinsam in einer Kur. Nicht alle, die dürften, bekommen auch die Gelegenheit.

Mütter und Kinder entspannen gemeinsam in einer Kur. Nicht alle, die dürften, bekommen auch die Gelegenheit.

© dpa

BERLIN (af/sun). Für die Kassen kommt es zur Zeit dick: "Es entsteht der Eindruck, dass die Kassen bei Mütter-Kind-Kuren Sparversuche unternehmen", sagte Anne Schilling, Geschäftsführerin des Müttergenesungswerkes (MGW) bei der Vorstellung des Jahresberichts.

Eine Erstablehnungsquote von 34 Prozent nähre den Verdacht, dass Antragstellerinnen entmutigt werden sollten. In den darauf hin eingeleiteten rund 14.800 Widerspruchsverfahren habe sich dann herausgestellt, dass mehr als die Hälfte dieser Ablehnungen unbegründet gewesen sei, sagte Schilling.

In ihren Ablehnungsbescheiden berufen sich die Kassen gerne auf den Vorrang ambulanter vor stationären Behandlungsmöglichkeiten. Vom MGW zur Verfügung gestellte Auszüge aus solchen Schreiben liegen der "Ärzte Zeitung" vor. Das MGW hat deshalb vor kurzem bei einem Gespräch im Gesundheitsministerium darauf gedrungen, diesen Punkt im Gesetz klarzustellen.

Der Gesetzgeber habe bereits festgestellt, dass der Grundsatz "ambulant vor stationär" in diesem Fall nicht gelte. Mit dem geplanten Patientenrechtegesetz sollen Kassen künftig über Leistungen innerhalb einer Frist zu entscheiden müssen, "andernfalls gilt der Antrag als genehmigt", betonte Zöller.

Das Patientenrechtegesetz soll noch 2011 verabschiedet werden. Der Referentenentwurf wird für Ende der Sommerpause erwartet.Die große Koalition habe die Mutter-Kind-Kuren 2007 zur Pflichtleistung der Kassen gemacht, so der Patientenbeauftragte der Bundesregierung Wolfgang Zöller (CSU).

"Das haben einige Kassenvertreter offensichtlich noch nicht verstanden." Er drohte eine "andere Gangart" an, sollten die Kassen ihr Verhalten nicht ändern.

Weitere Ablehnungsgründe sind der Verweis auf die Zuständigkeit von Rentenversicherungsträgern und die Aussage, nicht Berufstätige hätten keinen Anspruch auf die Kuren. Beides sei schlicht falsch, sagt Anne Schilling.

Auch die Arbeit von Ärzten ist betroffen. Mütter-Kind-Kuren müssen medizinisch indiziert sein. Allerdings versuchten die Prüfer der Kassen, die ärztlichen Diagnosen zu relativieren, lehnen die Diagnosen oft als "nicht mütterspezifisch" ab, klagt Anne Schilling. "Ihre Beschwerden resultieren nicht aus Ihrer Rolle als Mutter, sondern sind vorrangig der Familiensituation geschuldet", schrieb eine Kasse.

Deshalb fordert das MGW, ärztlichen Verordnungen in diesem Punkt mehr Gewicht zu verleihen. Elternkuren verschreiben Ärzte in mehr als zwei Drittel aller Fälle (68 Prozent) wegen Erschöpfungszuständen bis zum Burn out, Angst, Schlafstörungen, depressiven Episoden und weiteren psychischen Störungen und Verhaltensstörungen. An zweiter Stelle liegen mit 25 Prozent Rückenschmerzen, Bandscheibenvorfälle, Osteoporose und Arthrosen.

Wie die Kassen genau vorgehen, mochte nicht einmal das Gesundheitsministerium zu ermitteln, das sich im vergangenen Jahr der vorliegenden Daten angenommen hat. In einem Schreiben an den Gesundheitsausschuss teilte das Ministerium mit, dass daraus zuverlässige Aussagen zur Entwicklung der Anträge und Bewilligungen nicht ableitbar gewesen seien.

Licht ins Dunkel soll eine Untersuchung durch den Bundesrechnungshof bringen, die der Haushaltsausschuss des Bundestages auf Antrag der SPD angestoßen hat.

Bislang seien neun von 155 Kassen in die Prüfung einbezogen worden, teilte der GKV-Spitzenverband auf Anfrage mit. Ein vorläufiger Bericht des Bundesrechnungshofes gebe erste Hinweise auf mögliche Fehlentwicklungen. Valide Aussagen ließen sich aber erst mit dem Abschlussbericht treffen.

"Anträge auf Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahmen mit nicht nachvollziehbaren oder intransparenten Begründungen abzulehnen, wäre nicht richtig", sagt Ann Marini vom Spitzenverband. Bei 68.000 vom Müttergenesungswerk in 2010 beratenen Müttern hatten die Kassen zunächst 34 Prozent der Anträge abschlägig beschieden.

Etwa 52.000 Mütter setzten den Antrag auf die Kur durch. Den genauen Überblick hat das Müttergenesungswerk nur über diejenigen, die in seinen Einrichtungen kuren. Das waren im Jahr 2010 rund 39.000 Mütter. Dabei wurden sie von insgesamt 56.000 Kindern begleitet. Wieviele Mütter eine Kur ohne die Hilfe des Müttergenesungswerkes beantragt haben, sei nicht bekannt, sagte Schilling.

Damit liege die Zahl der in MGW-Einrichtungen kurenden Frauen nur noch knapp über der des Jahres 2006, sagte Schilling. Im Jahr darauf hatte der Gesetzgeber Mütter-Kind-Kuren als Pflichtleistungen der Krankenkassen eingeführt.

Die Arbeit von Müttern werde nach wie vor zuwenig gewürdigt, kristisiert Bettina Wulff. Die Frau des Bundespräsidenten ist traditionell Schirmherrin des Müttergenesungswerks. "Es gibt einen Konflikt zwischen dem Bedarf und dem, was die Kassen bereit sind zu bezahlen", so Wulff.

Den Bedarf hat das Bundesfamilienministerium beziffert. Etwa 2,1 Millionen Mütter sollen demnach kurbedürftig sein. Während die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt steigen, befinden sich die Ausgaben für Mütter-Kind-Kuren im Sinkflug. Von 2009 auf 2010 sanken sie nach Angaben des MGW um fast zehn Prozent von 316  655 Millionen auf 287.568 Millionen Euro.

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