150.000 säumigen Versicherten droht jetzt Pfändung

Rund 150 000 Versicherte haben sich gegen die Zusatzbeiträge einiger Krankenkassen gewehrt – indem sie nicht bezahlt haben. Jetzt reißt den Kassen der Geduldsfaden. Sie wollen die ausstehenden Beträge eintreiben lassen.

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Wer die Zusatzbeiträge nicht zahlt, wird jetzt gepfändet. Dabei sind weder Gehälter noch Renten tabu.

Wer die Zusatzbeiträge nicht zahlt, wird jetzt gepfändet. Dabei sind weder Gehälter noch Renten tabu.

© Jeanette Dietl / fotolia.com

BERLIN (dpa). Kassenpatienten, die Zusatzbeiträge ihrer Krankenkasse nicht bezahlt haben, droht jetzt die Pfändung.

Nach einer Umfrage von "Spiegel online" standen im ersten Halbjahr 2011 bundesweit mehr als 150.000 Betroffene auf den Inkasso-Listen der Hauptzollämter.

Deren 22 Vollstreckungsstellen sollen die Außenstände eintreiben - und dabei notfalls auch Gehälter oder Renten pfänden.

Derzeit verlangt ein Dutzend der rund 150 gesetzlichen Krankenkassen neben dem allgemeinen Satz von 15,5 Prozent einen Zusatzbeitrag von bis zu 15 Euro im Monat.

Neben der drittgrößten Krankenkasse DAK und der mit zwei Millionen Versicherten ebenfalls großen KKH-Allianz handelt es sich dabei zumeist um kleinere Betriebskrankenkassen.

Bundesversicherungsamt muss gegen Kassen vorgehen, die nicht gegen Zahlungsunwillige tun

Das aufsichtsführende Bundesversicherungsamt wird mit den Worten zitiert: "Wir sind verpflichtet, gegen Kassen vorzugehen, die Zusatzbeiträge erheben, aber nichts gegen säumige Mitglieder unternehmen."

Nach Angaben des Kassen-Spitzenverbandes lagen die Einnahmen aus dem Zusatzbeitrag im ersten Quartal 2011 bei 170 Millionen Euro. Eine Sprecherin sagte auf dpa-Anfrage, Zusatzbeiträge, die seit 2009 erhoben werden können, würden von zwölf Kassen mit insgesamt gut 7,3 Millionen Mitgliedern erhoben

Da wegen des Zusatzbeitrags viele Versicherte ihrer Kasse den Rücken kehrten, reagierten diese zunächst zurückhaltend auf Zahlungsverweigerer. Doch jetzt sei die Geduld der Kassen erschöpft.

Am meisten leiden "Spiegel Online" zufolge die DAK und die KKH-Allianz unter den Nicht-Zahlern.

Die DAK erhebt seit Februar 2010 zusätzlich zum gesetzlichen Beitrag acht Euro monatlich von ihren Versicherten. Mehr als 200.000 Mitglieder haben sich bislang davor gedrückt.

DAK läuft einer Summe von 28 Millionen hinterher

"Das sind etwa fünf Prozent aller 4,5 Millionen DAK-Kunden", sagt Sprecher Jörg Bodanowitz. "Wir laufen einer Summe von 28 Millionen Euro hinterher."

Nachdem am 10. August das Berliner Sozialgericht die Zusatzbeiträge der DAK bei drei Versicherten aus formalen Gründen für unwirksam erklärt hatte, forderte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach deren Aussetzung.

Dies sei notwendig, solange der Zusatzbeitrag "rechtlich nicht geklärt sei", sagte er der "Bild"-Zeitung. Die Kasse hatte nicht klar genug auf ein Sonderkündigungsrecht hingewiesen.

Angedrohte Pfändungen zeigen Wirkung

Die nun angedrohten Pfändungen zeigen laut Krankenkassen Wirkung. "Von 100 Versicherten zahlen 20 sofort, wenn sie Post vom Zoll bekommen", zitiert "Spiegel Online" die KKH-Allianz.

In wie vielen Fällen von Versicherten tatsächlich Konten, Gehälter oder Renten gepfändet wurden, darüber habe es keine Auskünfte gegeben.

Die meisten Zahlungsverweigerer gab es im ersten Halbjahr mit etwa 30.000 in Nordrhein-Westfalen. In Bayern standen dem Portal zufolge 18.000 Säumige auf den Inkasso-Listen des Zolls, in Berlin 13.000.

Verbraucherschützer werten die Zahlungsverweigerung auch als Boykott: "Die Versicherten haben das Gefühl, dass sie mit ihren normalen Beiträgen, der Praxisgebühr und den ganzen Zuzahlungen schon genug zur Kasse gebeten werden. Das mit den Zusatzbeiträgen sehen sie einfach nicht ein", sagte die Gesundheitsexpertin beim Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), Ilona Köster-Steinebach dem Portal.

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