Gerangel um die Kassenmilliarden

Fette Überschüsse bei den Krankenkassen: Von dem Kuchen sollten sie ihren Versicherten etwas abgeben, fordert der Gesundheitsminister. Davon halten die Kassen wenig - obwohl sie offenbar Milliarden horten.

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Das Geld der Kassen: Politiker schielen darauf.

Das Geld der Kassen: Politiker schielen darauf.

© niehoff / imago

HAMBURG/BERLIN (sun/af/nös). "Krankenkassen horten Milliarden" - Ein Bericht der "Financial Times Deutschland" (FTD) befeuert die Diskussion um mögliche Beitragsrückerstattungen in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Losgetreten hatte sie jüngst Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP). Am Wochenende hatte er gefordert, "die Krankenkassen sollten nun handeln, sie können ihren Mitgliedern Geld auszahlen".

Nach den Worten Bahrs gebe es Kassen, die hohe Überschüsse erwirtschaftet haben. Diese Kassen sollten die Möglichkeit nutzen, Prämien auszuschütten, forderte er.

Der FTD zufolge verfügen rund 30 gesetzliche Krankenkassen über ausreichende hohe Überschüsse. Profitieren könnten davon rund sieben Millionen Kassenmitglieder, schreibt das Blatt unter Berufung auf Regierungskreise.

Nach Informationen der "Ärzte Zeitung" gibt es derzeit sieben Krankenkassen, die ihren Versicherten im vergangenen Jahr Beiträge zurückerstattet haben. Dabei handelt es sich um die HKK sowie um die BKKen Wirtschaft und Finanzen, PWC, R+V, A.T.U., Schwarzwald-Baar-Heuberg und die BKK Textilgruppe Hof.

Keine dieser Krankenkassen findet sich jedoch unter den größten 30 der noch verbliebenen rund 130 Krankenkassen in Deutschland.

Gegenwind von Kassenseite

Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jens Spahn (CDU), unterstütze Bahrs Forderung. "Viele Krankenkassen schwimmen derzeit in Geld", sagte Spahn der Nachrichtenagentur dapd.

Gegenwind kam hingegen von den Krankenkassen. "Die Bundesregierung entscheidet über die Höhe des Beitragssatzes, die einzelnen Kassen über Prämien und Zusatzbeiträge", wiegelte Florian Lanz, Sprecher des GKV-Spitzenverbandes, gegenüber der Nachrichtenagentur dapd ab.

Lanz: "Jede Krankenkasse entscheidet das sehr sorgfältig und verantwortungsvoll, da braucht es keine Ermahnungen der Politik in die eine oder andere Richtung."

Der AOK-Bundesverband warnte vor einem "Prämienjojo". "Auch jede einzelne Kasse muss im Interesse ihrer Versicherten und Beitragszahler auf nachhaltige Stabilität setzen, statt Prämienjojo zu spielen", sagte der Vorstandsvorsitzende Jürgen Graalmann der dapd.

Gesundheitspolitische Kreise in Berlin bewerteten Bahrs Vorschlag als anstößig. Statt die Kassen aufzufordern, Prämien auszuschütten, könne er ja den Einheitsbeitragssatz senken. Das tue er nicht, wohl wissend, dass in den kommenden Jahren die finanziellen Spielräume der Kassen nicht mehr so groß wie heute sein werden.

Zurück zu individuellen Beiträgen

Der gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Professor Karl Lauterbach, vermutet ähnliches: "Minister Bahr will mit allen Mitteln sein eigenes Gesetz verhindern." Viele Kassen müssten seinen Worten zufolge heute einen zu hohen Beitragssatz verlangen.

Bahr wolle und könne diesen aber nicht senken. Denn dann, so Lauterbach, müsste etwa die DAK wieder einen Zusatzbeitrag verlangen und verlöre dadurch Mitglieder.

Das Problem für die Krankenkasse: Die Kassenmitglieder erhalten dann ein Sonderkündigungsrecht, was zu Abwanderung von Versicherten führt.

Gegenüber der "Saarbrücker Zeitung" ging der SPD-Politiker sogar noch weiter und eine Rückkehr zu kassenindividuellen Beiträgen gefordert. "Die gegenwärtige Situation zeigt die ganze Absurdität des Systems", sagte Lauterbach dem Blatt.

Statt "bei den Kassen zu betteln, den Versicherten Geld zurückzugeben", sei es besser wieder zu individuellen Beiträgen zurückzukehren. "Damit hätten sich auch die Zusatzbeiträge erledigt", sagte Lauterbach.

Von "Trickserei" sprach hingegen der Linken-Politiker Harald Weinberg. Außerdem würden nur die Versicherten von Rückzahlungen profitieren, die einer Kasse angehörten, die relativ gesunde Mitglieder habe. Die Überschüsse im Gesundheitsfonds seien daher eher Anlass, die Praxisgebühr und Zuzahlungen bei Medikamenten und Hilfsmitteln abzuschaffen.

Ökonom: Rote Zahlen wieder ab 2014

Grünen-Politikerin Birgitt Bender gab den Kassen Rückendeckung. Diese hielten sich aus nachvollziehbaren Gründen zurück: Die jährlich zu erwarteten Ausgabensteigerungen in der GKV sowie konjunkturelle Abschwächung könnten die Überschüsse wieder abschmelzen lassen.

So sehen es auch die Betriebskrankenkassen. Die neuen Regelungen für niedergelassene Ärzte könnten das Finanzpolster der Kassen schon bald aufzehren, sagte Heinz Kaltenbach, Geschäftsführer des BKK Bundesverbands, der Nachrichtenagentur dpa. Als Gründe führte er die geplante Honorarreform und das Anfang des Jahres in Kraft getretene Versorgungsgesetz an.

Der Gesundheitsökonom Eckhard Fiedler bezifferte die Überschüsse der Kassen im "Deutschlandfunk" auf 7,3 Milliarden Euro, von denen sie aber sechs Milliarden in der Mindestrücklage vorhalten müssten.

Spätestens 2014 würden die Kassen wieder rote Zahlen schreiben, sagte Fiedler. Die Ausgaben der Kassen entwickelten sich immer schlechter als die Einnahmen.

Sauer reagieren auch die Verantwortlichen in den Kliniken auf den Vorschlag. "Wenn die gesetzlichen Krankenversicherungen wegen überfüllter Kassen Beiträge an ihre Mitglieder zurückerstatten können und gleichzeitig durch gesetzlich verfügte Kürzungen in den Krankenhäusern die Kliniken dies finanzieren, dann stimmt etwas mit dem Gesundheitssystem nicht", sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Georg Baum.

Baum spielte darauf an, dass die Krankenhäuser aktuell einen Sparbeitrag leisten, der trotz der Überschüsse im Gesundheitsfonds aufrecht erhalten wird.

Minister Bahr hielt trotz der Kritiken an seinem Appell für Prämienausschüttungen fest. Die Kassen sollten die Möglichkeit dafür prüfen, sagte Bahrs Sprecher, Christian Albrecht.

Auch der CDU-Politiker Johannes Singhammer nahm den Gesundheitsminister in Schutz: "Bahrs Vorschlag war eine freundliche Aufforderung an die Kassen. Die Kassen entscheiden letztlich selbst, ob sie die Beiträge senken wollen oder nicht", sagte er in Berlin.

Singhammer: "Wollte die Politik etwas ändern, könnte sie die Beiträge senken. Davon rate ich allerdings ab. Wir brauchen eine vorrausschauende Politik ohne Zick-Zack-Kurs."

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