Zuweisungen aus Gesundheitsfonds

Kassen spannen Ärzte für Tricksereien ein

Die Rücklagen schmelzen, der Kampf um die Zusatzbeiträge wird härter: Kassen versuchen daher mit nachträglichen "Diagnoseprüfungen" zusätzlich Geld beim Gesundheitsfonds locker zu machen. Die Aufsichtsbehörde geht dagegen vor.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

BONN. Auch noch fünf Jahre nach seinem Start tricksen einzelne Krankenkassen beim morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA), um höhere Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zu erhalten.

Dabei werden Ärzte eingespannt und ihre Furcht vor Wirtschaftlichkeitsprüfungen ausgenutzt, um nachträglich "Diagnoseprüfungen" vorzunehmen, heißt es im am Dienstag veröffentlichten Jahresbericht des Bundesversicherungsamts (BVA) für 2014.

Das BVA überwacht die aktuell 79 bundesunmittelbaren Kassen, die nicht - im Gegensatz etwa zu den AOKen - der Länderaufsicht unterliegen.

Bei den "Diagnoseprüfungen" werden den Ärzten Vorschlagslisten mit angeblich fehlenden oder "inkorrekten" versichertenindividuellen Diagnosen übermittelt. Dies diene, so verkaufen es die betreffenden Kassen den Ärzten, der "Vermeidung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen".

Es wundert nicht, dass es sich bei den "nachgemeldeten" Diagnosedaten zu einem Großteil um solche handelt, "die wegen der Morbiditätsorientierung des RSA für die Höhe der Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds relevant sind", schreibt die Behörde.

Klare Kante bei tricksenden Kassen

Durch die veränderten Abrechnungsdaten werde die Datengrundlage für den Risikoausgleich genauso verfälscht wie die Datenbasis für die Versorgungsforschung. Wegen Zweifeln an der Zulässigkeit der Morbiditätsdaten hat das BVA bei fünf Kassen für das Jahr 2009 nachträglich Korrekturbescheide ausgestellt: konkret wurde also Geld zurückgefordert.

Klare Kante zeigt die Behörde bei den tricksenden Kassen: Das BVA weist deren Argumentation zurück, "es ginge nur darum, eine Pflichtverletzung des Arztes im Hinblick auf die Übermittlung von Diagnosedaten (...) zu korrigieren" und kündigt an, diese Fälle "konsequent weiter zu verfolgen".

Die Praxis dieser Kassen, "unpassende" Diagnosedaten über "Falllisten via Kassenärztliche Vereinigung durch die Ärzte ‚bestätigen‘ zu lassen, ist weder datenschutzkonform noch ein legitimer Prüfansatz" im Sinne der Wirtschaftlichkeitsprüfung, stellt das BVA fest.

Der Kampf um zusätzliche Mittel aus dem Gesundheitsfonds findet statt vor dem Hintergrund schmelzender Rücklagen.

Zwar verzeichneten zum Jahresende 2014 noch 52 der 78 Kassen einen Überschuss. Aber acht von ihnen wiesen schon nicht mehr die vorgeschriebene Mindestrücklage von 0,25 Monatsausgaben in vollem Umfang auf.

Positives Fazit für Bonusprogramme

Vor allem die Zahl der Kassen mit überdurchschnittlich hohen Rücklagen ist im Vergleich zu 2013 deutlich gesunken. "Einige" Kassen hätten zudem von der Option Gebrauch gemacht, keine ausgabendeckenden Zusatzbeiträge von ihren Mitgliedern zu verlangen.

Diese Kassen würden zum Jahresende voraussichtlich "stärkere Beitragsanhebungen durchführen müssen", so das BVA.

Zum Aufgabenkreis der Behörde gehört seit 2012 die Prüfung von Selektivverträgen. Von den 789 im vergangenen Jahr begutachteten Verträgen habe das Amt nur zwei beanstandet. In einzelnen Fällen verlangte das BVA, dass der Arzt schriftlich seine Vertragsteilnahme erklären müsse.

Wie schon in früheren Jahren hat die Aufsichtsbehörde das Gebaren von externen Hilfsmittelberatern kritisch beäugt. Für deren Wirken gebe es zur Zeit "keine gesetzliche Grundlage".

"Toleriert" wird deren Arbeit durch das BVA aktuell nur, wenn es um die Beurteilung von technischen Fragen nach Aktenlage geht - also ohne direkten Kontakt zum Patienten.

Ein positives Urteil zieht die Behörde bei Bonusprogrammen der Kassen: 77 von 79 Kassen haben Anreize für gesundheitsbewusstes Verhalten gesetzt. Mehrheitlich hätten Kassen Einsparungen durch die Programme belegen können.

Dabei variierten die Ausgaben pro Kopf für die Programme je nach Kasse zwischen 47 Cent und 41,78 Euro im Jahr 2014.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Kommentar zum Jahresbericht des Bundesversicherungsamtes: Tricksen im Maschinenraum

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