SPD-Gesundheitspolitik

Macht Schulz den Re-Reformer?

Der Kanzlerkandidat der SPD hobelt an den Agenda-Reformen von Altkanzler Schröder. In der Gesundheitspolitik sollte Martin Schulz besser die Feile nehmen. Wer frühere Reformen zurückdrehen will, sollte gute Argumente und ein klares Konzept haben.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

Martin Schulz – der Re-Reformer der SPD. Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Start der Agenda 2010 setzt der Kanzlerkandidat auf eine Neujustierung der Sozial- und Arbeitsmarktreformen unter dem früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder. Der Widerstand gegen die Agenda-Politik kostete die SPD einst die Macht. Inzwischen wird im "Fördern und Fordern" eine Grundlage für die wirtschaftliche Erholung und die wiedergewonnene Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gesehen.

Doch die Chancen, dass sich Schulz als Nächstes eine Revision der Gesundheitspolitik vornimmt, sind gering. Das komplexe Politikfeld eignet sich allenfalls für Akte proklamatorischer Politik. Doch nach einem ordnungspolitischen Systemwechsel dürfte selbst Schulz nicht der Sinn stehen.

Dabei fiel das GKV-Modernisierungsgesetz im Jahr 2004 ähnlich tiefgreifend aus wie die Agenda-Reformen. Die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) steuerte gegen die Dauerdefizite der Gesetzlichen Krankenversicherung mit einem Katalog an Grausamkeiten an: Zuzahlungen, Praxisgebühr, weitgehende Streichungen der Erstattungen für rezeptfreie Arzneimittel, Sehhilfen, Sterbegeld oder künstliche Befruchtung – und nicht zuletzt die für die SPD bittere Abschaffung der paritätischen Finanzierung. Doch die Brachialkur zeigte Wirkung: Nachdem sich die Defizite der GKV von 2001 bis 2003 auf 9,5 Milliarden Euro summiert hatten, gelang 2004 der Turnaround mit einem Überschuss von vier Milliarden Euro.

Die Reformträume von SPD und Union, einerseits die Bürgerversicherung, andererseits die Gesundheitsprämie, zerstoben ab 2005 im großkoalitionären Minimalkonsens. Die SPD rühmte sich in den folgenden Jahren, pauschale, nicht einkommensbezogene Zusatzbeiträge verhindert zu haben. Die Union wiederum hielt sich zu Gute, die Zusatzbeiträge entdeckelt zu haben: Kostensteigerungen, die nicht mehr über den eingefrorenen Arbeitgeberbeitrag von 7,3 Prozent finanziert werden können, gehen allein zu Lasten der GKV-Mitglieder.

1,8 Prozent Zusatzbeitrag im Jahr 2020?

Und die Zusatzbeiträge werden steigen – dafür sorgen die Folgekosten der von der amtierenden Koalition beschlossenen Gesundheitsgesetze. Für das Jahr 2020 hat der Ersatzkassenverband vdek jüngst einen Zusatzbeitrag von 1,8 Prozent als realistisch benannt.

Will die SPD hier sozialpolitisch ihr Profil schärfen, so ergäbe sich eine Spielwiese, die von symbolischer Politik bis hin zu ordnungspolitischen Großreformen reicht. Zu den gesundheitspolitischen Fingerübungen gehört die Wiedereinführung der Parität. Doch mit dieser Forderung kann Schulz nicht wirklich punkten – sie ist bereits geltende Beschlusslage der SPD-Bundestagsfraktion. Allerdings gibt es selbst im rot-grünen Lager keine Zustimmung zur Parität. Seit vergangenem Jahr schmort ein entsprechender Vorstoß mehrerer Länder im Bundesrat. Bisher verweigert Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) sein Plazet.

Doch Schulz hätte die Möglichkeit, an anderen Stellschrauben zu drehen, um GKV-Mitglieder zu entlasten. Wie das geht, hat ihm Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) vorgemacht. Versehen mit einer wenig überzeugenden Erklärung (Kompensation für Flüchtlingskosten und Aufbau der Telemedizin) pumpt Gröhe im laufenden Jahr 1,5 Milliarden Euro aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds in die Krankenkassen. Damit konnte sich die Union im Wahljahr unangenehme Fragen nach der Verteilungswirkung der GKV-Finanzierung vom Hals halten – nur wenige Kassen mussten 2017 ihre Zusatzbeiträge erhöhen. Will Schulz dagegen an die Zusatzbeiträge selber ran, wird es teuer. Mittlerweile stammen 14,4 Milliarden Euro an Beitragseinnahmen aus Zusatzbeiträgen. Diese auf einen Schlag wieder paritätisch finanzieren zu wollen, würde massiven Widerstand der Wirtschaft auslösen.

Bürgerversicherung – bisher nur eine Überschrift

Aber es gäbe auch andere finanziell schlankere Optionen: So verursachen etwa die 2004 gekürzten GKV-Leistungen für die künstliche Befruchtung bei vielen Paaren hohe finanzielle Hürden. IvF & Co. als familienpolitische Leistungen stattdessen komplett durch Steuern zu finanzieren, könnte eine Re-Reform sein, die auf viel Zustimmung stößt.

Zentrales Kriterium der programmatischen Abgrenzung von der Union ist und bleibt aber die Bürgerversicherung. Doch bislang ist dieses Vorhaben nicht mehr als eine Überschrift. Jüngst erst haben Studien auch SPD-naher Denkfabriken die operativen Nebenwirkungen einer Transformation der GKV in eine Bürgerversicherung gezeigt: Diese Großreform würde über Legislaturperioden hinweg stabile politische Mehrheiten benötigen, hätte negative Beschäftigungswirkungen und würde schwer kalkulierbare verfassungsrechtliche Probleme nach sich ziehen. Leicht erklärbare und zeitnah wirkungsvolle Schritte zu mehr Gerechtigkeit sehen anders aus.

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