Notfallversorgung

Der Weg zu integrativen Lösungen ist weit

Das Saarland hat auf dem Weg zu einer besser koordinierten Notfallversorgung erste Schritte gemacht. Doch der Entwicklungspfad hin zu einer sektorenübergreifenden Versorgung ist steinig.

Andreas KindelVon Andreas Kindel Veröffentlicht:
Diskussion beim Ersatzkassenforum: Klinikdirektorin Dr. Susann Breßlein und der Vorsitzende des Sachevrständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Professor Ferdinand Gerlach.

Diskussion beim Ersatzkassenforum: Klinikdirektorin Dr. Susann Breßlein und der Vorsitzende des Sachevrständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Professor Ferdinand Gerlach.

© BeckerBredel

SAARBRÜCKEN. Die "Kleinstaaterei" bei der Notfallversorgung in Deutschland muss beendet werden – das hat der Vorsitzende des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Professor Ferdinand Gerlach gefordert.

Nicht jeder Landkreis brauche eine eigene Rettungs-Leitstelle. Vorbild für die künftige Notfall-Versorgung sollte das kleine Saarland sein. Denn für die rund eine Million Saarländer gibt es schon seit mehreren Jahren nur noch eine zentrale Rettungs-Leitstelle.

Geht ein Notruf ein, wird in Saarbrücken entschieden, ob ein Rettungswagen oder der ärztliche Bereitschaftsdienst der KV ausrückt oder ob auch eine telefonische Auskunft reicht. Den Vertragsärzten an der Saar hat das schon viele unnötige Anrufe in der Nacht erspart.

"So etwas wie im Saarland sollten wir bundesweit machen", sagte Gerlach kürzlich beim Ersatzkassenforum in Saarbrücken. In Hessen mit seinen rund sechs Millionen Einwohnern gebe es dagegen immer noch für jeden Landkreis eine Leitstelle – insgesamt weit über 20.

Ziel sind integrierte Notfallzentren

Gerlach geht bei seinen Vorstellungen für die künftige Notfall-Versorgung außerdem noch einen Schritt weiter. Für diejenigen Patienten, die im Notfall noch gehfähig sind und selbst zum Arzt kommen können, schlägt er die Schaffung "integrierter Notfallzentren" vor.

Dort sollten Klinikärzte und niedergelassene Mediziner unter einem Dach arbeiten – gemeinsam mit Palliativ-Care- und Pflege-Notfall-Teams. "Denn heute rücken viele Ärzte zu Notdiensten aus, wo eigentlich ein Pflege- oder Schmerzproblem besteht", so Gerlach, der Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin an der Universität Frankfurt/Main ist.

Auch für diesen Vorschlag gibt es schon erste Beispiele im Saarland. An zwei Saarbrücker Krankenhäusern bieten die niedergelassenen Ärzte seit diesem Jahr auch wochentags Notdienste bis spät in den Abend an. Der Anlass: Die Klinikärzte hatten zuvor geklagt, dass immer mehr Patienten als Notfall in ihre Ambulanzen kämen, die eigentlich ein Fall für den Bereitschaftsdienst seien.

Ein Beispiel für diese Notfall-Versorgung unter einem Dach ist das Klinikum Saarbrücken. "Wir haben einen Tresen, wo die Patienten ankommen", berichtete die Klinikdirektorin Dr. Susann Breßlein. Dort werde dann entschieden, ob der Patient ein Fall für den KV-Bereitschaftsdienst ist oder das Krankenhaus ihn übernimmt. Der niedergelassene Arzt könne in seinem Bereitschaftsdienst außerdem die Infrastruktur der Klinik nutzen – wenn er zum Beispiel schnell ein Röntgenbild brauche.

Die KV Saarland hat das Projekt unterstützt – äußert aber Bedenken. "Das Problem ist doch eigentlich entstanden durch Patienten, die ungesteuert in die Klinik-Ambulanzen laufen", meinte der saarländische KV-Vorsitzende Dr. Gunter Hauptmann.

Nach Büroschluss ein "Notfall"

Man habe in den ersten Monaten geschaut, wer eigentlich als Notfall in die Klinik komme. Und das seien zum Beispiel die 30- bis 50-Jährigen, die sich nach Dienstschluss nicht mehr die Mühe machen wollten, in die Praxis zu kommen. Der Notfall sei dann auch längst nicht immer ein Notfall. Es kämen auch Patienten mit Kreuzbandschmerzen und erhöhter Temperatur.

Für Gerlach gilt trotzdem: Die Mauer zwischen Klinik- und Praxiswelt müsse weg. Ob bei Abrechnungssystemen, Mengenvorgaben, Bedarfsplanung oder Qualitätssicherung – Niedergelassene und Kliniker arbeiteten völlig unterschiedlich.

Eine solche Mauer zwischen den Systemen sei weltweit einmalig und habe auch negative Folgen. Dazu gehören falsche Angebotskapazitäten – zum Beispiel bei Herzkatheterplätzen – und Fehlverteilungen bei den Ärzten: Zu viele Mediziner seien Spezialisten statt Generalisten, zu viele arbeiteten in Ballungsräumen statt auf dem Lande.

Entscheidender Hebel für Veränderungen ist wahrscheinlich wieder mal das Geld. Der Chef des Sachverständigenrates beklagte, für eine ambulante Leisten-Hernien-Operation gebe es 600 Euro, für eine stationäre OP aber 1800 Euro. "Die Folge ist, dass in Deutschland diese OPs fast alle stationär gemacht werden", so seine Kritik, während es im Ausland genau umgekehrt sei.

Notdienstversorgung

Integrierte Notfallzentren – wie geht das? Der Vorschlag des Sachverständigenrats

Der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Professor Ferdinand Gerlach, hat beim Ersatzkassenforum in Saarbrücken Elemente einer integrierten Notfallversorgung vorgestellt:

» Integrierte Leitstellen: Nur eine Rufnummer, Verzicht auf "Kleinstaaterei" mit Leitstellen auf Landkreisebene.

» Zentrale Anlaufstelle: Ein "Tresen", an dem eine Triage mit Blick auf die Dringlichkeit der Versorgung erfolgt. Diese sollte möglichst durch einen breit weitergebildeten Allgemeinarzt mit notfallmedizinischer Erfahrung erfolgen.

- Patientensteuerung: Sie sollte über IT-gestützte Versorgungspfade erfolgen, bei denen es eine einheitliche sektorenübergreifende Dokumentation gibt. Einen individuellen Termin im Notfallzentrum in einer konkreten Klinik erhalten Patienten bei vorherigem Anruf bei der Leitstelle. Ansonsten müssen sie bei Selbstüberweisung ohne Dringlichkeit ggf. mit längeren Wartezeiten rechnen. Nach derzeitigem Stand gibt der Sachverständigenrat keine Empfehlung dafür ab, Patienten über eine Eigenbeteiligung zu steuern.

» Finanzierung: Das Notfallzentrum soll aus einem neuen Finanzierungstopf vergütet werden, der aus der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung der KV und den Klinikbudgets herausgelöst wird. Kassen und Privatassekuranz würden dann direkt mit dem Notfallzentrum abrechnen.

» Trägerschaft: Das Notfallzentrum sollte von der KV und dem Krankenhaus gemeinsam getragen werden. Betrieben werden sollte es jedoch allein von der KV. (fst)

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