Schleswig-Holstein

"Wir brauchen 20 Mal Büsum"

Der neue Leiter der Barmer in Schleswig-Holstein setzt beim Kampf gegen den Ärztemangel auf konzertierte Aktionen in den Regionen.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Dr. Bernd Hillebrandt, kann sich das Modell Büsum deutlich häufiger im Norden vorstellen.

Dr. Bernd Hillebrandt, kann sich das Modell Büsum deutlich häufiger im Norden vorstellen.

© Dirk Schnack

KIEL. Als Dr. Bernd Hillebrandt im Frühjahr die Leitung der Barmer Landesvertretung in Schleswig-Holstein übernahm, hat er während seiner Einarbeitungszeit Ideen und Projekte im Norden vorgefunden, die er als nachahmenswert empfindet. Im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung" verrät er insbesondere seine Vorliebe für die kommunale Eigeneinrichtung in Büsum.

"Wir brauchen 20 Mal Büsum in Schleswig-Holstein", sagt Hillebrandt. Modelle wie die von der Gemeinde betriebene und von der Ärztegenossenschaft Nord gemanagte Gemeinschaftspraxis mit mehreren angestellten Ärzten können nach seiner Überzeugung zwei Ziele erreichen: "Sie helfen, die ambulante Versorgung dort zu sichern, wo Einzelpraxen keine Nachfolger mehr finden. Und sie bewirken, dass junge Ärzte in die ambulante Versorgung kommen."

Skeptische Bürgermeister

Als Hürde für die weitere Verbreitung solcher Modelle hat der Kassenmanager vor allem die kommunalen Entscheidungsträger ausgemacht. "Viele Bürgermeister haben die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt. Angesichts der existierenden Probleme vor Ort ist das für mich nicht nachvollziehbar", sagt Hillebrandt.

Bernd Hillebrandt

  • seit April 2018: Landesgeschäftsführer der Barmer Schleswig-Holstein

  • 2005 bis 2017: verschiedene leitende Positionen unter anderem im Medikum MVZ in Kassel, bei der Gesundheitswirtschaft Hamburg und bei der Universitätsmedizin Rostock

  • 2000 bis 2005: Vorstand der BKK Continental

  • 1992 bis 2000: Referent der Geschäftsführung und später des Vorstands bei der DAK

Er regt konzertierte Aktionen in den Regionen an, in denen neben kommunalen Vertretern, Ärzten und deren Organisationen, Krankenhäusern und Krankenkassen insbesondere auch Pflegevertreter an künftigen Lösungen mitwirken. "Die Pflege wird bei solchen Lösungen oft vergessen. Sie muss von Beginn an einbezogen werden", fordert Hillebrandt. Die genaue Ausgestaltung sei dabei immer von den Bedingungen vor Ort abhängig.

Die Kassen könnten sich bei solchen Lösungen je nach Modell mit Projektförderungen, Hilfen aus dem gemeinsamen Strukturfonds oder mit Selektivverträgen einbringen, mit denen gezielte Unterstützung über die Regelversorgung hinaus geleistet wird – insbesondere, um eHealth-Lösungen einzuführen, die Patienten weite Wege ersparen.

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens im Norden sieht der Barmer-Manager zwar auf einem guten Weg – unter anderem mit Projekten wie der elektronischen Visite im Praxisnetz Herzogtum Lauenburg – aber noch in den Kinderschuhen. "Wir brauchen ein Förderprogramm für die Telemedizin im ganzen Land. Da sehe ich das Land Schleswig-Holstein in der Pflicht."

Suche nach Verbundlösungen

Wichtig ist Wirtschaftswissenschaftler Hillebrandt, dass Sektoren nicht mehr getrennt betrachtet, sondern gemeinsame Verbundlösungen für ambulant und stationär gefunden werden. Auch wenn die Ansätze des in Thüringen derzeit unter dem Begriff "Hybrid-DRG´s" für ausgewählte Indikationen erprobten Modells aus seiner Sicht nicht geeignet sind, könnten indikationsspezifische Behandlungspauschalen auf diesem Weg dennoch helfen. "Das sollte dann aber nicht nur von einer Kasse, sondern mindestens vdek-weit erprobt werden", lautet seine Forderung.

Den zu erwartenden Widerstand von Seiten der Krankenhäuser kann er zwar nachvollziehen, hat aber Argumente für die gleiche Bezahlung: "Solch ein Modell wäre auf die Fälle beschränkt, die ohnehin ambulant erbracht werden sollten. Kliniken haben Interesse an einem hohen Case-Mix-Index.

Wenn die leichteren Fälle ambulant erbracht werden, schont das die strapazierten stationären Ressourcen. Kliniken, die sich daran beteiligen, stellen sich also zukunftsfest auf, tun etwas für ihr Image und betreiben Zuweiserpflege". Nach seinen ersten Monaten in Schleswig-Holstein ist sich der Kassenchef sicher: "Hier gibt es aufgeschlossene Klinikmanager, die sich beteiligen würden."

Entbürokratisierung gegen Versorgungsengpässen

Eine weitere Voraussetzung für eine langfristige Sicherung der Versorgung auch auf dem Land ist nach seiner Einschätzung die Entbürokratisierung: "Die Ärzte wollen vor allem Medizin machen und nicht Formulare ausfüllen.

Ausschlaggebend für die zahlreichen Vorgaben seien aber nicht die Krankenkassen, sondern der Gesetzgeber, den er in dieser Frage am Zug sieht, initiativ zu werden. Hillebrandt ist überzeugt: "Ein Programm zur Entbürokratisierung wäre effizienter als ein Programm zur Entbudgetierung."

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