HINTERGRUND

USA wollen Organentnahme bei Stillstand des Herzens weiter fördern - doch Zweifel bleiben

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Ein Teil der Transplantationsmediziner in Deutschland wünscht sich - mit Blick auf europäische Nachbarländer und auf die USA - die Erweiterung des Organspende-Pools durch so genannte Non-Heart-Beating Donors (NHBD), also die Nierenentnahme nach Herzstillstand. Dazu wäre eine Änderung des Transplantationsgesetzes (TPG) nötig, denn dem Gesetz zufolge dürfen Herztoten nur dann Organe entnommen werden, wenn seit dem Stillstand von Herz und Kreislauf mindestens drei Stunden vergangen sind.

In Österreich, der Schweiz, in den Niederlanden, Spanien oder Belgien ist das anders. Dort kann mit der Entnahme von Organen begonnen werden zehn Minuten, nachdem ein Herz-Kreislauf-Stillstand, nicht aber der Hirntod festgestellt worden ist (Maastricht-Kriterien von 1995). Die Organvermittlungszentrale Eurotransplantat (ET), an die auch Deutschland wartende Patienten und postmortale Organspender meldet, hatte schon 1998 mitgeteilt, der Stillstand von Herz und Kreislauf für zehn Minuten sei ein "Äquivalent zum Hirntod".

Kriterien für Therapie-Abbruch sind nicht standardisierbar

Die Bundesärztekammer (BÄK) ist seit vielen Jahren anderer Meinung. Ihr wissenschaftlicher Beirat reagierte damals prompt: Es sei möglich, aber nicht erwiesen, dass ein Herz-Kreislauf-Stillstand von zehn Minuten bei normaler Körpertemperatur ebenso sicher den Tod anzeige wie die Diagnose Hirntod (Deutsches Ärzteblatt 50, 1998, A-3235). Kriterien für einen Therapie-Abbruch, einschließlich der Reanimationsbemühungen, ließen sich nicht standardisieren. Dass der Herzstillstand nicht als sicheres Todeszeichen gelten könne, belege jede auch nur vorübergehend erfolgreiche Reanimation, heißt es auch in einem Beschluss des Deutschen Ärztetages 2007 in Münster, in welchem die Auffassung der BÄK bestätigt worden ist.

In den USA müssen dagegen seit Kurzem alle Kliniken, denen grundsätzlich die entsprechenden Ressourcen für die Rekrutierung von NHBD zur Verfügung stehen, dafür sorgen, dass sie bestimmte Standards für diese Form der Organspende einhalten (NEJM 357 / 3, 2007, 209). Möchte sich eine Klinik nicht an der Organspende nach Herzstillstand beteiligen, muss sie aktiv widersprechen und die Gründe dafür erklären.

Dafür kann es viele geben, macht NEJM-Autor Dr. Robert Steinbrook deutlich. So sei eine Regel für die Organentnahme von Herztoten, dass der Spendeprozess nicht den Tod herbeiführen oder seinen Eintritt beschleunigen solle. Diese Regel sei in der Praxis aber nicht immer einzuhalten. Denn parallel zum Abbrechen der intensivmedizinischen Maßnahmen wird dem potenziellen Spender - nach Zustimmung der Angehörigen - Heparin injiziert, um zu verhindern, dass sich Thromben bilden und die Organe schädigen.

Die Applikation von Heparin könne Blutungen beim Spender herbeiführen, wenngleich aus nahe liegenden Gründen nicht belegt sei, dass die Heparingabe bei diesen Patienten das Leben verkürze, so Steinbrook. Einige Klinikprotokolle in den USA sehen offenbar vor, dem potenziellen Spender schon vor dem zu erwartenden Herzstillstand Katheter in ein großes Gefäß (etwa in die Leistenarterie) zu legen, um nach Herzstillstand gekühlte Perfusionslösung zu injizieren. Dabei kann der Zeitraum zwischen dem Feststellen der letzten Herztätigkeit und den Vorbereitungen zur Explantation von Organen sehr kurz sein: Im Allgemeinen wird in den USA ein Spender fünf Minuten nach Herzstillstand für tot erklärt, manchmal aber auch schon nach zwei Minuten.

Obwohl an der Feststellung des Todes kein Transplantationsmediziner beteiligt sein dürfe, um Interessenkonflikte zu vermeiden, gebe es - auch von Seiten der Ärzte - Bedenken gegen das Vorgehen, heißt es im NEJM: Die Wahrnehmung des Lebensendes habe sich verändert, denn innerhalb von Minuten werde aus einem intensiv medizinisch betreuten Patienten ein Organspender, dem die nun beginnenden ärztlichen Aktivitäten möglicherweise schadeten.

Angehörige können nicht in Ruhe Abschied nehmen

Obwohl die Zustimmung der Familien immer eingeholt werde, hätten auch diese häufig Probleme damit, nicht in Ruhe Abschied von ihren Angehörigen nehmen zu können, so Steinbrook. Kompliziert werde die Situation auch dann, wenn der Patient wegen Aussichtslosigkeit seiner Lage extubiert und sein Herztod erwartet werde, die Herzfunktion dann aber nicht rasch genug aussetze, um die Organe erhalten zu können. Das sei bei etwa 20 Prozent der potenziellen NHBD der Fall. Der Organspendeprozess werde dann abgebrochen.

Acht Prozent der nach dem Tod entnommenen Organe stammen in den USA von NHBD mit stetig steigender Tendenz. In der Schweiz sind es etwa elf Prozent. Die Organe von NHBD nehmen zwar ihre Funktion oft verzögert auf, funktionieren im Langzeitverlauf aber ähnlich gut wie Organe von Hirntoten. Nach Schätzungen aus den USA und der Schweiz ließe sich durch NHBD die Zahl der Transplantationen um 25 bis 42 Prozent erhöhen.

Non-heart-beating donors (NHBD)

NHBD sind Organspender mit einem akuten Herzkreislaufstillstand, bei denen der Hirntod sekundär erwartet, aber nicht festgestellt wird. Eine Organentnahme ist bei einer warmen Ischämiezeit bis zu 30 Minuten möglich. Nach den Maastricht-Kriterien von 1995 gibt es fünf Klassifikationen für NHBD: Herzstillstand bei Ankunft in der Klinik (I) oder nach erfolgloser Reanimation (II), Spender, bei denen der Herzstillstand erwartet wird nach Unterbrechung lebenserhaltender Maßnahmen (III), Herzstillstand bei Hirn-Stamm-Tod (IV), Herzstillstand bei einem stationären Patienten (V). Diese Kriterien werden in den meisten Ländern Europas, in denen es NHBD gibt, angewendet. Der Herzstillstand sollte zehn Minuten zurückliegen, bevor der Patient für tot erklärt wird. (nsi)

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