Müssen Politiker den Ärzten die Prioritäten vorgeben?

BERLIN (HL). Medizinischer Fortschritt ist in Zukunft zu vertretbaren Kosten finanzierbar. Das kann gelingen, wenn Innovationen aus der Diagnostik und der Therapie eine personalisierte Medizin möglich machen, die zielgenau wirkt und Nebenwirkungen vermeidet. Gleichwohl wird nach Expertenauffassung ein gesellschaftlicher Diskurs über Prioritäten im Gesundheitswesen notwendig sein.

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Das waren die wichtigsten Ergebnisse des 3. Berliner Roche-Forums, bei dem Entscheider aus dem Gesundheitswesen und Wissenschaftler debattierten, wie Ansprüche und Möglichkeiten der modernen Medizin solidarisch finanziert werden können.

Ärzte und Patienten, das wurde in der Diskussion deutlich, erleben seit Jahren, dass Mittelknappheit den Arbeitsalltag des Arztes beeinflusst und das Arzt-Patienten-Verhältnis beeinträchtigt. Dr. Ulrich Graeven von der Arbeitsgemeinschaft Internistischer Onkologen kritisierte vor allem, dass keine offene und öffentliche Debatte über notwendige Prioritäten stattfindet. Stattdessen würden Ärzte mit Drohkulissen konfrontiert - zum Beispiel mit Regressdrohungen beim Off-Label-Use -, die dann zu heimlichen Rationierungen beim einzelnen Patienten führten.

Bestätigt wurde dies von der Medizin-Journalistin und Krebs-Patientin Sibylle Herbert: "Es gibt eine Medizin nach Kassenlage - das Schlimme daran ist, dass die Politik dies leugnet und dass es für Patienten keine Transparenz und kein erkennbares Prinzip der Prioritätensetzung gibt."

Noch weiter in seiner Kritik ging der CDU-Politiker Heiner Geißler. Der Erfinder der Kostenexplosion im Gesundheitswesen ist inzwischen - genauso wie sein Altersgenosse Norbert Blüm - zum Fundamentalkritiker der aus seiner Sicht neoliberalen Wirtschaftspolitik geworden. Damit sei eine neue Art der Diskriminierung von Menschen entstanden: die Kategorie der Armen, Alten und Arbeitslosen - Menschen, die nur noch als "Kostenfaktoren" angesehen würden. Die Ökonomisierung habe Patienten zu Kunden und Ärzte zu Fallpauschalen-Jongleuren gemacht.

Auch Geißler hält eine offene und öffentliche Debatte über Methoden der Priorisierung in der Medizin für notwendig. Der einzig richtige und legitime Ort dafür sei aber das Parlament - auf gar keinen Fall Kommissionen, die mit Experten besetzt seien, die von ihren eigenen Empfehlungen überhaupt nicht betroffen seien.

Die Statements von Wissenschaftlern - Medizinethikern und Ökonomen - erlauben allerdings Zweifel, ob in einem parlamentarischen Prozess einfache und transparente Prioritätslisten aufgestellt werden können. Grundsätzlich hält der Medizinethiker Professor Eckhard Nagel die Ethik der Handelnden heute für nicht schlechter als vor 50 Jahren. Der Gesundheitsökonom Professor Michael Schlander rechnet vor, dass die Kosten der demografischen Entwicklung wie auch des medizinischen Fortschritts langfristig finanziert werden können, vorausgesetzt, die Wirtschaft wächst. Und medizinischer Fortschritt selbst kann die Effizienz steigern, wenn Therapie zielgenauer gestaltet wird.

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