Ohne Papiere in Deutschland, aber mit Chipkarte?

WITTEN (akr). Für Einwanderer ohne Aufenthaltsgenehmigung kommt es einer Katastrophe gleich, wenn sie erkranken - medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen, erhöht die Gefahr der Entdeckung.

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Krank sein erhöht für Menschen ohne Papiere die Gefahr, entdeckt zu werden.

Krank sein erhöht für Menschen ohne Papiere die Gefahr, entdeckt zu werden.

© Foto: dpa

Statt für diese Gruppe parallele Versorgungsstrukturen aufzubauen, sollte sich das deutsche Gesundheitswesen versteckt lebenden Migranten öffnen, fordert die Pflegewissenschaftlerin Mareike Tolsdorf von der Universität Witten/Herdecke. Sie plädiert dafür, dass sich die sogenannten Illegalen regulär krankenversichern können.

Die Pflegewissenschaftlerin hat die Lage von Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung im Krankheitsfall untersucht. Die Schätzungen über in Deutschland lebende Einwanderer ohne gültige Papiere bewegen sich zwischen 100 000 und 1,5 Millionen. "Sie sind nur pro forma ins Gesundheitswesen eingebunden", sagt Tolsdorf. Theoretisch können diese Menschen Leistungen nach dem Asylbewerbergesetz in Anspruch nehmen.

Praktisch haben sie Angst vor Abschiebung. "Deshalb nehmen versteckt lebende Migranten nur medizinische Hilfe in Anspruch, wenn es nicht mehr anders geht", sagt sie. Geld, um selbst die Rechnung zu zahlen, haben Einwanderer ohne Papiere in der Regel nicht. Dabei sind sie besonders gefährdet.

Viele kommen aus Ländern mit Gesundheitsrisiken wie der Verbreitung von Tbc. Fluchterfahrungen bereiten psychischen Stress, und die Angst vor der Entdeckung in Deutschland erzeugt weiteren extremen Stress.

Hilfsorganisationen richten immer mehr Anlaufstellen für diese Gruppe ein. "Die Zahl der Einrichtungen der Malteser Migranten Medizin (MMM) ist von fünf im vergangenen Jahr auf acht in diesem Jahr gestiegen", berichtet Tolsdorf. Auch die Zahl der "Büros für medizinische Flüchtlingshilfe" sind nach ihren Angaben in diesem Jahr um drei auf 15 gewachsen. Auch niedergelassene Mediziner versorgen Illegale.

"Es spricht sich bei versteckt lebenden Migranten herum, wenn ein Arzt sie umsonst behandelt", sagt sie. Deshalb sind diese Ärzte schnell überlaufen - und sie bleiben auf entstandenen Kosten sitzen. In anderen Ländern hat die Politik auf das Problem reagiert. In der Schweiz können sich so genannte Illegale krankenversichern. Diese Lösung hält Tolsdorf auch für Deutschland für sinnvoll. "Migranten wollen nichts geschenkt", sagt sie.

"Es ist besser, sie in das bestehende Gesundheitswesen zu integrieren, als eine Parallel-Struktur auszubauen." Die Einrichtungen zur Behandlung dieser Gruppe seien schon jetzt überlaufen, obwohl sie nur einen Bruchteil der versteckten Migranten versorgten.

Auch in den Niederlanden gibt es bereits eine Lösung für Einwanderer ohne Papiere. Dort hat die Regierung einen mit zunächst fünf Millionen Euro ausgestatteten Fonds eingerichtet, der Ärzte und Kliniken bezahlt. "Für Deutschland wäre etwa zehnmal so viel Geld erforderlich", schätzt Tolsdorf.

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