Vom "gefühlten" zum wissenschaftlich nachgewiesenen Unbehagen des Arztes

Den Wandel des Gesundheitswesens hin zu einer Gesundheitswirtschaft bekommen auch die Ärzte zu spüren: Ökonomische Rahmenbedingungen haben immer größeren Einfluss auf ihre tägliche Arbeit.

Thomas HommelVon Thomas Hommel Veröffentlicht:

Der Befund des Hauptgeschäftsführers der Bundesärztekammer (BÄK), Professor Christoph Fuchs, fiel eindeutig aus: Viele Ärzte stöhnten derzeit über "finanzielle Restriktionen", einen "übermäßigen Verwaltungsaufwand", knappe "Zeitfenster für die Betreuung von Patienten" und "belastende Arbeitszeitregelungen", erklärte Fuchs jetzt auf einem Symposium der BÄK zum Thema "Arbeitsbedingungen und Befinden von Ärztinnen und Ärzten - Befunde und Interventionen". Die Rahmenbedingungen für die ärztliche Berufsausübung stimmten nicht mehr, ärgerte sich der Ärztevertreter. Und: "Wir sind am Anschlag dessen, was geleistet werden kann."

Weil solche Kritik in Öffentlichkeit und Politik aber oft als Klageritual wahrgenommen wird, bedarf es wissenschaftlicher Studien, aus denen hervorgeht, dass die Sorgen der Ärzte auch tatsächlich berechtigt sind.

Angemessene Bezahlung macht den Beruf attraktiver

"Es geht darum, das gefühlte Unbehagen mit den Arbeitsbedingungen und der gesundheitsgefährdenden Situation der Ärzte in ein wissenschaftlich analysiertes, begründetes Unbehagen umzuwandeln", sagte der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der BÄK, Professor Peter C. Scriba.

Dass sich Forscher bereits intensiv mit Fragen zur Arbeitssituation von Ärzten beschäftigen, belegen zahlreiche Studien zu diesem Thema: Das Institut für freie Berufe Nürnberg (IFB) etwa befragte Klinikärzte, was den Arztberuf attraktiver machen würde, und filterte aus den Antworten folgende Kriterien heraus: angemessene Bezahlung, bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit, die Reduzierung von nicht-ärztlichen Aufgaben, Hierarchieabbau sowie länger laufende Arbeitsverträge.

Für den ambulanten Bereich wiederum ermittelten die Forscher folgende Kriterien: Erhalt der Freiberuflichkeit, Abbau von Bürokratie sowie Erhöhung der Honorare für die geleistete Arbeit.

Auch an der Universität Leipzig gingen Gesundheitssystemforscher Anreizen für die Niederlassung von Ärzten auf die Spur. Fazit: Das monatliche Nettoeinkommen gilt als "einflussreichstes niederlassungsrelevantes Merkmal". Daneben haben die Anzahl der zu leistenden Bereitschaftsdienste sowie das Schul- und Betreuungsangebot für die Kinder erheblichen Einfluss auf die Entscheidung, sich niederzulassen. In Hamburg wiederum fragten Wissenschaftler des dortigen Universitätsklinikums (UKE) und des Zentralinstituts für Arbeitsmedizin (zfam) nach Ursachen für Burnoutgefährdung bei Krankenhausärzten. Ergebnis hier: Lange Arbeitszeiten führen nicht so sehr zu einer Burnoutgefährdung. Als wichtiger erweisen sich Faktoren wie der Umgang im Kollegenkreis und das Verhältnis zu Vorgesetzten.

Bessere Abläufe führen zu weniger Belastungen

Auf dem Symposium der BÄK machten Experten unterdessen deutlich, dass wissenschaftliche Erkenntnisse auch in Interventionen in der Praxis münden müssen. Damit schlage man zwei Fliegen mit einer Klappe. Scriba: "Wenn Maßnahmen die Arbeitsbedingungen von Ärzten verbessern, so nutzt das nicht nur diesen selbst. Vielmehr bessert sich dadurch die Versorgungsqualität der Patienten, messbar an niedrigeren Fehlerraten."

Damit sich die Arbeitssituation für die in Kliniken tätigen Ärzte verbessert, "müssen diese stärker in organisatorische Entscheidungen einbezogen werden", forderte Professor Axel Ekkernkamp, Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer am Unfallkrankenhaus Berlin. Die Kliniken bräuchten mehr ärztliches Know-how auf der Ebene der Geschäftsführung. "Nur dann lassen sich Prozesse so organisieren, dass wir Patientenversorgung und Arbeitsbedingungen optimal in den Griff kriegen." "Ärzte sind in der Lage, Arbeitsprozesse zu reorganisieren. Man muss uns nur lassen", sagte Dr. Andreas Botzlar, zweiter Vorsitzender der Klinikärztegewerkschaft Marburger Bund. Arbeitsverdichtung und Burnout unter Ärzten hätten zugenommen, warnte Botzlar.

Dr. Astrid Bühren, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB), forderte die Kliniken auf, sich stärker dafür einzusetzen, dass Ärztinnen und Ärzte "Beruf und Familie miteinander vereinbaren können". Familienfreundliche Medizin könne ein Wettbewerbsvorteil sein.

 

Lesen Sie dazu auch: Ärzte im Gesundheitswesen: "Wir sind am Anschlag"

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