Baden-Württemberg

Kammer erinnert an Schuld der Ärzte in Grafeneck

10.654 Menschen sind in Grafeneck im Jahr 1940 umgebracht worden. Genau 78 Jahre, nachdem dort erstmals Patienten vergast wurden, setzt die Landesärztekammer ein Zeichen der Erinnerung.

Veröffentlicht:
Gedenktafel in Grafeneck: Kammerpräsident Clever und Gedenkstätten-Leiter Stöckle bei der Enthüllung (v.l.).

Gedenktafel in Grafeneck: Kammerpräsident Clever und Gedenkstätten-Leiter Stöckle bei der Enthüllung (v.l.).

© Horst Rudel

STUTTGART. Die Landesärztekammer Baden-Württemberg erinnert mit einer Gedenktafel in der Tötungsanstalt Grafeneck an die 10.654 Menschen mit geistigen Behinderungen und psychischen Erkrankungen, die 1940 dort von Ärzten ermordet wurden. Auf Anordnung von Adolf Hitler wurden seit dem Herbst 1939 im Reich "Meldebögen" an Ärzte verteilt, die nicht arbeitsfähige Patienten in Heil- und Pflegeanstalten benennen sollten.

Am 18. Januar 1940 wurden erstmals in Grafeneck 25 Patienten vergast. Genau 78 Jahre später traf sich am vergangenen Donnerstag der Vorstand der Landesärztekammer Baden-Württemberg in der Gedenkstätte zu einer Vorstandssitzung. Auf der Gedenktafel, die zu diesem Anlass vor dem Dokumentationszentrum enthüllt wurde, heißt es unter anderem: "Wir bekennen uns zur Schuld der Ärzte an diesem Verbrechen." Über diese Formulierung habe es Diskussionen im Vorfeld gegeben, berichtete Ärztekammer-Präsident Dr. Ulrich Clever der "Ärzte Zeitung". Er hatte sich seit seinem Amtsantritt 2011 für eine offizielle Stellungnahme der Kammer stark gemacht. Die damalige von der Samariter-Stiftung getragene "Landes-Pflegeanstalt", rund 60 Kilometer südlich von Stuttgart, wurde 1939 vom Staat beschlagnahmt und binnen weniger Wochen zu einer Tötungsanstalt umgebaut. Erstmals wurde dabei eine stationäre Gaskammer verwendet. Die Opfer wurden aus Heil- und Pflegeanstalten in ganz Württemberg und Baden, aber auch aus Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen mit grauen Bussen nach Grafeneck transportiert. Erst seit den 1990er Jahren ist begonnen worden, die Namen der Opfer zusammenzutragen, berichtet Thomas Stöckle, Leiter der Gedenkstätte in Grafeneck.

Die Tötungsanstalt war eine von sechs Einrichtungen, in denen landesweit über 70.000 Menschen umgebracht wurden. Benannt nach dem Sitz der Planungsbehörde in der Tiergartenstraße 4 in Berlin ist das Mordprogramm nach 1945 als "Aktion T4" bezeichnet worden. Es markiert den Beginn industrialisierten Mordens, sagt Stöckle. So führen die Spuren einiger der Täter von Grafeneck auch in die Vernichtungslager von Belzec, Treblinka oder Auschwitz-Birkenau.

Der Landrat des Kreises Reutlingen, Thomas Reumann, zollte dem Kammervorstand Respekt: "Sie senden ein starkes Signal. Das ist gerade in dieser Zeit wichtig." (fst)

Mehr zum Thema

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Rechtzeitig eingefädelt: Die dreiseitigen Verhandlungen zwischen Kliniken, Vertragsärzten und Krankenkassen über ambulantisierbare Operationen sind fristgerecht vor April abgeschlossen worden.

© K-H Krauskopf, Wuppertal

Ambulantisierung

90 zusätzliche OPS-Codes für Hybrid-DRG vereinbart

Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“