Medizinethik

CRISPR/Cas-Methode – Zwischen Zauberwerk und Hexenkunst?

Die CRISPR/Cas-Methode könnte hohen therapeutischen Nutzen stiften. Sie lässt aber auch bei Wissenschaftlern und Industrie Allmachtsfantasien blühen. Der Ethikrat-Chef sieht dies skeptisch und fordert mehr Regulierung.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Mittels CRISPR können Forscher Gene gezielt verändern. Das bringt Diskussionen mit sich.

Mittels CRISPR können Forscher Gene gezielt verändern. Das bringt Diskussionen mit sich.

© vchal / Getty Images / iStock

Nach der Digitalisierung könnte nun auch die Biotechnologie für eine technische Revolution sorgen. "Durchbrüche wie die CRISPR/Cas-Methode verheißen viele innovative Anwendungen in den Bereichen Medizin, Agrarwirtschaft und Industrie", heißt es beispielsweise in einer Analyse des Fachbereichs Biotechnologie im Verein deutscher Ingenieure (VDI).

Konkret denkbar seien Gentherapien gegen erblich bedingte und bisher nicht heilbare Krankheiten, die Entwicklung neuer Immuntherapien gegen Krebs sowie antivirale Strategien gegen HIV. Aber auch stark optimierte Prozesse in der Chemieindustrie sowie neue Methoden zu einer erleichterten Züchtung von Nutzpflanzen, die die Anpassung der Agrarwirtschaft an den Klimawandel unterstützen kann, seien denkbar. Dass die Forscher und Industrieunternehmen damit ein diffiziles Terrain betreten, ist dem VDI bewusst. So fordert er eine "sehr sorgfältige ethische oder ökologische Risiko-Nutzen-Abwägung."

Stellungnahme in Arbeit

Für den Theologen und Chef des Deutschen Ethikrates Professor Peter Dabrock ist das eine Steilvorlage. Gegenüber der dpa hat er sich für eine internationale Institution zur Kontrolle des Einsatzes der Gen-Schere CRISPR/Cas und ähnlicher Methoden ausgesprochen.

Dabrock warnt davor, das neue Gentechnik-Werkzeug unkontrolliert für Eingriffe in die menschliche Keimbahn einzusetzen. "Das ist ein Menschheitsthema, das man nicht alleine den Wissenschaftlern überlassen darf." Es sollte vielmehr "ein internationales Beobachtungsverfahren, eine Institution, geben, die diesen Prozess begleitet. Also etwas wie die Atomenergiebehörde in Wien", so Dabrock.

Und weiter: "Wir sehen, dass in der Forschung, gerade im Bereich der Medizin, in einer Intensität mit der Gen-Schere gearbeitet wird. Das kommt einer Goldgräberstimmung gleich", moniert Dabrock. "Da wird viel getan, und da fließen Milliarden an Forschungsgeldern, aber auch an Investitionsgeldern rein."

2017 hatte der Ethikrat eine Empfehlung an Bundesregierung und Bundestag veröffentlicht, in der er eine internationale Konferenz vorschlägt – ähnlich den Klimakonferenzen. Außerdem bereitet das Expertengremium eine Stellungnahme zu möglichen Eingriffen mit der Gen-Schere in die menschliche Keimbahn vor. "Wir hoffen, dass wir allerspätestens Ende des Jahres damit fertig sind", so Dabrock.

Kostensenkendes Potenzial

Mittels CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeat) lässt sich, wie berichtet, Genome Editing, also das Entfernen und Einfügen neuer Genabschnitte, gezielt und vor allem sehr viel unkomplizierter durchführen als bisher. Das CRISPR-System wurde in Bakterien entdeckt, wo es zur Abwehr von Viren oder Bakteriophagen dient.

Die daraus abgeleitete CRISPR-Cas-Technologie beruht auf zwei Komponenten: Mit Hilfe einer Führungs-RNA (guideRNA) lässt sich ein DNA-Abschnitt gezielt ansteuern. Anschließend schneidet das CRISPR-assoziierte Protein "Cas9" die DNA genau an dieser Stelle. Im Verlauf der Reparatur durch das zelleigene System können dann Genabschnitte inseriert oder entfernt werden. Ebenso lassen sich Punktmutationen einfügen oder Gene hoch- oder herunterregulieren.

Eine internationale Gen-Aufsichtsbehörde würde sicher im globalen Spannungsfeld konträrer Erwartungshaltungen stehen – die ethische Implikation im Wettbewerb mit der gesundheitsökonomischen. Denn: "Der Einsatz von CRISPR/Cas könnte finanzielle Auswirkungen auf das Gesundheitssystem haben – sollten beispielsweise heute noch sehr teure Gentherapien in Zukunft deutlich günstiger werden und großflächiger zum Einsatz kommen", so die VDI-Biotechnologieexperten – verbunden mit dem Hinweis, diese möglichen Auswirkungen seien derzeit nicht abschätzbar.

In einer gemeinsamen Stellungnahme kommen die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften – acatech, die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und die Deutsche Forschungsgemeinschaft zur Einschätzung, dass Genome Editing "ein hohes wissenschaftliches Potenzial besitzt und in vielen Bereichen ethisch und rechtlich unbedenklich ist."

Die Einschätzung weiter: "Die Methoden des Genome Editing sind nicht automatisch mit vereinzelten potenziell missbräuchlichen bzw. ethisch und rechtlich noch zu bewertenden Anwendungen gleichzusetzen", heißt es ergänzend. (mit dpa)

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