Naturheilkunde

Alles nur Scharlatanerie bei der Komplementärmedizin?

Naturheilverfahren und Komplementärmedizin erfreuen sich hoher Beliebtheit, sind aber nur wenig evidenzbasiert. Ein Grund dafür sind minimale Forschungsmittel. "Das ist grauenhaft", sagt eine Medizinethikerin zur Lage.

Helmut LaschetVon Helmut Laschet Veröffentlicht:
Wasseranwendungen wie die Kneipp-Kur sind in den Weiterbildungsordnungen der Ärzte geregelt – dies gilt nicht für jede Komplementärmedizin.

Wasseranwendungen wie die Kneipp-Kur sind in den Weiterbildungsordnungen der Ärzte geregelt – dies gilt nicht für jede Komplementärmedizin.

© creAtive / Fotolia

BERLIN. Die Konfrontation zwischen Schulmedizin einerseits und Naturheil- und komplementären Verfahren scheint kaum auflösbar. Die Gründe: Es wird gegenseitig mit Negativetikettierungen gearbeitet, im völlig unreglementierten deutschen Heilpraktikerwesen kommt es zu Auswüchsen. Das Symposion Ärzte und und Juristen in der Kaiserin-Friedrich-Stiftung suchte nun eine Annäherung.

Naturheilkunde, so der Chefarzt des Berliner Immanuel-Krankenhauses, Professor Andreas Michalsen, sei weitgehend erfahrungsbasiert; erst seit etwa 20 Jahren bemühe man sich um eine bessere Evidenz durch Forschung. Dies sei aber deshalb kaum möglich, weil dafür geeignete Strukturen fehlten. Ferner gebe es keine Basis für die Forschungsfinanzierung. Nur 0,01 Prozent der insgesamt in der Medizin aufgewendeten Forschungsgelder fließen in Studien zur Naturheilkunde.

Dabei seien diese Verfahren Realität in der Medizin und der Kompetenzerwerb in den Weiterbildungsordnungen der Ärzte geregelt: Wärme-, Kälte- und Wasseranwendungen, Lichttherapie, Fasten und Akupunktur. Im Rahmen multimodaler Therapiekonzepte werden solche Verfahren bei Diabetes oder medikamentenresistentem Bluthochdruck angewendet. Hinzu komme die Phytotherapie, in der aber ebenfalls wenig geforscht werde.

"Heilpraktiker müssen nur wissen, wo ihre Grenzen sind"

Eine deutsche Besonderheit seien die Heilpraktiker, deren Prüfung nur eine Maßnahme zur Gefahrenabwehr sei, so der Sozialrechtler Professor Jochen Taupitz. „Heilpraktiker müssen nur wissen, wo ihre Grenzen sind, aber nicht wie eine bestimmte Behandlung funktioniert.“

Anders als in der Schweiz, in der der Beruf des Heilpraktikers auch inhaltlich einer Reglementierung unterliegt, gebe es in Deutschland keine verbindlichen Vorschriften für die Ausbildung. Diese seien de facto teilweise sehr gut und auch teuer – aber weder kontrolliert noch zertifiziert, kritisiert Taupitz.

Konsequenzen habe dies für das Haftungsrecht der Heilpraktiker. Es erfordere nicht nur den Nachweis eines Schadens durch den mutmaßlich geschädigten Patienten, sondern auch den Nachweis der Kausalität, die aber der Logik der Heilpraktiker-Zulassung folge. Dabei könne der Patient vom Heilpraktiker nicht das erwarten, was bei Ärzten Standard sein muss, nämlich auf dem Stand der medizinischen und wissenschaftlichen Erkenntnisse zu arbeiten.

Vorurteile und Schubladendenken?

Die Medizinethikerin Professor Bettina Schön-Seifert, Mitverfasserin des Münsteraner Memorandums zum Stellenwert der Komplementärmedizin, beklagte die durch gegenseitige Etikettierungen und Vorurteile entstandenen Probleme, den Stellenwert alternativmedizinischer Verfahren zu klären. Positiv bewertet sie die zunehmend kritische Berichterstattung in serösen Printmedien wie beispielsweise im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ über Scharlatanerie in der Medizin.

Als ein großes Hindernis im Klärungsprozess, welche Verfahren der Alternativmedizin gut begründet sind, nennt sie die völlig konträre Sichtweise und Bewertung wissenschaftlicher Studien. „Das ist grauenhaft.“

Auch die Etablierung von Cochrane-Zentren mit einem Netzwerk von weltweit rund 40.000 Wissenschaftlern aus der Medizin und Naturwissenschaft ändere daran nichts, weil dieses Netzwerk von den Verfechtern der Alternativmedizin als Bestandteil der Schulmedizin und insofern als parteilich angesehen werde.

Das Fazit Schöne-Seiferts: Die solidarisch finanzierte GKV solle nur das bezahlen, was evidenzbasiert ist. Alles andere gehöre in Zusatzversicherungen. Und um dem Mangel an Empathie in der Schulmedizin abzuhelfen, fordert sie eine massive Aufwertung der sprechenden Medizin.

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