Marburger Bund

"Berlin überdreht Sparschraube beim ÖGD"

Selbst Pflichtaufgaben können die Ärzte in Gesundheitsämtern kaum noch leisten, klagt der Marburger Bund. Der Bundesverband der im ÖGD tätigen Ärzte warnt, dass in Berlin, aber auch in anderen Ländern, kein Ende des Sparkurses in Sicht ist.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Gesundheitsamt Tempelhof-Schöneberg: 44 Stellen fehlen dort.

Gesundheitsamt Tempelhof-Schöneberg: 44 Stellen fehlen dort.

© Robert Schlesinger / dpa

BERLIN. Hilferuf aus Berlin: Im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) fehlen in der Hauptstadt 400 Stellen. Selbst Pflichtaufgaben könnten die Ärzte in den Gesundheitsämtern kaum noch erfüllen, berichtete der Marburger Bund (MB) am Mittwoch in Berlin.

Immerhin ist der Mangel in Berlin transparent. Denn der Senat hat in einem mehrjährigen Beratungsprozess ein "Mustergesundheitsamt" entwickelt, durch das die Personal- und Sachausstattung der bezirklichen Gesundheitsämter verbindlich festgelegt wird.

"Die Senatsverwaltung ist in der Verantwortung, die selbst aufgestellten Stellenzahlen den Bezirksämtern auch zur Verfügung zu stellen und zu finanzieren", forderte Dr. Peter Bobbert, MB-Vorsitzender des Landesverbands Berlin-Brandenburg.

So fehlten allein im Bezirk Tempelhof-Schöneberg 44 Vollzeitstellen. Betroffen seien von dem Personalmangel "vor allem die Schwachen der Gesellschaft, soziale Randgruppen und Hilfebedürftige, die auf die Leistungen des ÖGD angewiesen sind", so der MB.

Eingesparte Stellen - eine Blackbox

Abseits von Berlin hüllen sich die Bundesländer über die Personalentwicklung im ÖGD in Schweigen, sagte Dr. Ute Teichert-Barthel, Vorsitzende des Bundesverbands der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD). "Wie viele Stellen im ÖGD bundesweit und in den einzelnen Bundesländern abgebaut wurden, ist leider eine Blackbox", sagte Teichert-Barthel der "Ärzte Zeitung".

Erst seit Ende 2012 werde die Zahl der Ärzte im ÖGD von der Statistik der Bundesärztekammer erfasst. Vergleiche man diese Zahlen mit denen aus einer bundesweiten Erhebung aus dem Jahr 1995, "so kommt man auf einen Rückgang von etwa 37 Prozent", so die BVÖDG-Vorsitzende.

In den Gesundheitsämtern arbeiteten weniger als ein Prozent der in Deutschland tätigen Ärzte, bundesweit rund 2700.

Eine Umfrage des Verbands habe im vergangenen Jahr ergeben, dass etwa 200 Facharztstellen in den rund 380 Gesundheitsämtern vakant sind. Grund dafür sei auch ein Attraktivitätsproblem: "Je nach Facharztqualifikation muss ein Mediziner, der von der Klinik in den ÖGD wechselt, einen Gehaltsverlust von bis zu 1000 Euro im Monat hinnehmen", erklärte Teichert-Barthel.

Der MB-Hauptgeschäftsführer Armin Ehl forderte in diesem Zusammenhang, für Ärzte im ÖGD "endlich eine Bezahlung nach Marburger Bund-Tarif einzuführen".

Die Gesundheitsministerkonferenz hat im Juni vergangenen Jahres eine bessere Bezahlung von Amtsärzten in Aussicht gestellt. Über das politische Bekenntnis, die hoheitlichen Aufgaben des ÖGD müssten besser finanziert werden, gingen die Ländergesundheitsminister aber nicht hinaus.

Bloß keine neue Grippewelle!

Der BVÖGD bezeichnet die Personaldecke in den Gesundheitsämtern als "zum Zerreißen gespannt". Infektionswellen wie bei EHEC hätten die Gesundheitsämter nur "durch massive Überstunden bewältigen können".

Aus Sicht der Verbandsvorsitzenden falle das, was die Gesundheitsämter gegenwärtig noch leisten können, "vor allem unter die Rubrik ‚Feuerwehr‘", sagte Teichert-Barthel. Beispielsweise werde nur noch in den wenigsten Gesundheitsämtern geimpft - "eigentlich eine originäre Aufgabe des ÖGD", erinnert sie.

Am Beispiel der Perspektiven des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, der gerne als "dritte Säule des Gesundheitswesens" beschworen wird, zeige sich, "wo der Staat in der Daseinsvorsorge hin will", so Teichert-Barthel.

"Denn leider ist kein Ende des Sparkurses in Sicht", bedauert sie. So sei beispielsweise in Bayern ein weiterer Personalabbau beschlossene Sache.

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