Elf Jahre Transplantationsgesetz - reichen Korrekturen oder ist eine Generalreform nötig?

Der Novellierungsbedarf beim vor elf Jahren verabschiedeten Transplantationsgesetz ist groß, meinen Ärzte und Juristen. Im Zentrum des Streits steht immer wieder die Frage einer möglichen Ausweitung der Lebendspende.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:
Herz und Gefäße - hier in einem Modell.

Herz und Gefäße - hier in einem Modell.

© Foto: s. kaulitzkifotolia.de

Der Mangel an Organen, Lücken im Gesetz und Bestimmungen, die sich nach Ansicht von Ärzten und Juristen nicht bewährt haben - all diese Faktoren erhöhen den Druck, sich mit juristischen und medizinischen Aspekten des Transplantationsgesetzes noch einmal auseinanderzusetzen. Weiterer Anpassungsbedarf ergibt sich auch durch die Pläne der EU-Kommission, Qualität und Sicherheit von Organtransplantationen für die Mitgliedsländer rechtlich verbindlich zu harmonisieren.

Ein wissenschaftliches Symposium der Bundesärztekammer (BÄK) in Berlin hat sich zunächst auf die juristischen Fragen konzentriert, die medizinischen Aspekte sollen im nächsten Jahr folgen, sagte Professor Dr. Hans Lilie von der Universität Halle, Vorsitzender der Ständigen Kommission Organtransplantation.

Strittig ist, wie weitgehend eine Novellierung sein soll

Obwohl erwartungsgemäß keine Einigkeit erzielt worden ist, zeichnet sich die Tendenz ab, das Gesetz im Kern erhalten, aber in Teilen novellieren zu wollen. Ein Problembereich ist die Lebendspende, gewisse Lücken gibt es außerdem bei der postmortalen Organspende. Auch die Kompetenz der Bundesärztekammer, Richtlinien zu erstellen, zum Beispiel für die Aufnahme in die Wartelisten, wird unter verfassungsrechtlichen Aspekten hinterfragt.

Der Jurist und Rechtsphilosoph Professor Ulrich Schroth von der LMU München hält ebenso wie seine Kollegen Thomas Gutmann (Münster) und Wolfram Höfling (Köln) die Beschränkung des Lebendspender-Kreises auf Verwandte und andere Personen für zu restriktiv. Sie müssen laut Gesetz persönlich miteinander verbunden sein und sich offenkundig nahe stehen.

Kritisiert wird vor allem, dass ein Arzt mit den Mitteln des Strafrechts verfolgt werden kann, wenn er gegen diese Bestimmung verstößt. "Es ist völlig unangemessen, einen Arzt strafrechtlich belangen zu können, wenn ein Spender eine autonome und informierte Entscheidung getroffen hat, die nicht mit einer Lebensgefahr verbunden ist und überdies dem Transplantatempfänger geholfen hat", sagte Schroth. "Die Begrenzung des Spenderkreises und die Strafbewehrung sollten ganz schnell aufgehoben werden."

Kriterien für eine Lebendspende sind sehr streng.

Das Wichtigste bei der Lebendspende sei, dass sie freiwillig erfolge. So solle unter anderem die Crossover-Spende, bei der sich zwei Paare zum Zweck der blutgruppenkompatiblen Organspende kennenlernen, ausdrücklich erlaubt werden. Es müsse ein einheitliches Prozedere und standardisierte Kriterien geben, nach denen Lebendspendekommissionen die Freiwilligkeit der Organspende prüften und Organhandel ausschlössen. Die persönliche Anhörung der Betroffenen solle Standard werden. Nur nach Aktenlage zu entscheiden, wie es gelegentlich geschehe, sei unzureichend.

Plädiert wurde bei der Tagung auch dafür, die Verbindlichkeit des Votums der Kommissionen zu erhöhen - derzeit ist ihr Votum für die Ärzte nicht bindend. Auch sollten die Kommissionen untereinander vernetzt werden, damit sie ihre Voten austauschen und verhindern können, dass die Kandidaten von einer Lebendspendekommission zur nächsten wandern, bis sie eine Zustimmung erhalten. Es sei besser, wenn Betroffene in einem transparenten Verfahren die Möglichkeit hätten, sich gegen ein ablehnendes Votum zu wehren.

In Frage gestellt wurde, ob die Nachrangigkeit der Lebendspende von Organen noch zeitgemäß ist. Um gesunde Menschen nicht unnötig zu gefährden, kommt eine Lebendspende nach dem Gesetz nur dann in Frage, wenn kein geeignetes postmortales Organ zur Verfügung steht.

In den vergangenen zehn Jahren hätten sich aber sowohl die Risiken für die Lebendspender weiter verringert, als auch die Erfolgaussichten für die Empfänger erhöht, so Professor Paolo Fornara von der Universitätsklinik Halle: Die Fünf-Jahresfunktionsraten lebend gespendeter Niere lägen um 15 Prozent über denen postmortaler.

Vorrang der postmortalen Spende noch zeitgemäß?

"Wir müssen unter den aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen den Patienten primär die schlechtere Therapie empfehlen", sagte der Urologe. Auch Juristen wie der ehemalige Vorsitzende der Ständigen Kommission Organtransplantation, Professor Hans-Ludwig Schreiber, würden die Subsidiarität der Lebendorganspende gern aufgehoben sehen.

Für die postmortale Organspende wird diskutiert, ob sie nicht - in engen Grenzen - an bestimmte Personen gerichtet sein darf, was bislang gegen das Gesetz verstößt. In der Vergangenheit haben mehrfach Angehörige ihre Zustimmung zu einer Multiorganentnahme mit der Bedingung verknüpft, dass ein Organ einem Familieangehörigen auf der Warteliste verpflanzt werde. Verbesserungsbedürftig sei auch die versicherungsrechtliche Situation der Lebendorganspender.

Was darf die Bundesärztekammer?

Verfassungsrechtler äußern Kritik an der Richtlinienkompetenz der Bundesärztekammer: Aus ihrer Sichts sei fraglich, ob der Gesetzgeber Entscheidungen über Lebenschancen in die Hand der privatrechtlich organisierten BÄK geben darf. Dazu gehört etwa, dass die BÄK Kriterien für die Aufnahme von Patienten in die Warteliste formuliert. Auch die Umsetzung der geplanten EU-Richtlinie zur Qualität und Sicherheit von Organen könnte es nach Ansicht von Verfassungsrechtlern erforderlich machen, die Kompetenzen der BÄK an staatliche Institutionen wie das Bundesgesundheitsministerium oder eine Bundesoberbehörde zumindest zurückzubinden. (nsi)

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