Risse im schönen Organspende-Konsens

Eigentlich war alles klar beim Thema Organspende: Die Politiker hatten sich auf die Entscheidungslösung geeinigt. Doch jetzt melden sich einzelne Abgeordnete zu Wort - und kritisieren die Neuregelungen, die am Donnerstag im Bundestag beraten werden.

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Der Transport von Spenderorganen ist gut organisiert. Was fehlt, sind ausreichend viele Organe.

Der Transport von Spenderorganen ist gut organisiert. Was fehlt, sind ausreichend viele Organe.

© Mathias Ernert

BERLIN (af/sun/dpa). Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) erwartet spürbar mehr Spenderorgane in Deutschland durch die anstehende Organspende-Reform.

An diesem Donnerstag (22. März) berät der Bundestag die geplanten Neuregelungen in erster Lesung. "Erstmals werden alle Bürger in Deutschland aufgefordert, sich bei der Organspende zu entscheiden", sagte Bahr am Mittwoch in Berlin.

Sie sollen künftig in regelmäßigen Abständen zu einer Entscheidung für oder gegen die Organspende aufgefordert werden. Das ist aber nicht das Einzige, was sich bei der Organspende ändern soll. "Jedes Krankenhaus wird verpflichtet, einen Transplantationsbeauftragten einzusetzen", sagte Bahr.

"Die Kombination aus Entscheidungslösung und den Beauftragten in den Kliniken wird es ermöglichen, dass sich in Deutschland die Spendezahlen deutlich erhöhen."

Bislang meldeten nicht alle Krankenhäuser mögliche Organspender, auch wenn diese einen Spenderausweis tragen. Die Gründe liegen darin, dass manche Häuser die Kosten scheuen, die die Entnahme von Organen verursachen können.

Krankenhäuser könnten Schlüssel sein

Den Schlüssel zu mehr Organspenden sieht der Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), Professor Günter Kirste, daher bei den Krankenhäusern. Die müssten eine mit dem neuen Gesetz möglicherweise steigende Spendebereitschaft in der Bevölkerung aufnehmen und umsetzen.

Auch mit der Änderung des Transplantationsgesetzes fehlten aber weiterhin "klare Vorgaben", wer die Transplantationsbeauftragten ausbilden solle, sagte Kirste am Mittwoch der "Ärzte Zeitung".

Benötigt würden rund 12.000 Intensivmediziner. Es gebe aber keine Regeln für deren Freistellung und Bezahlung. Hier seien die Länder und die Ärztekammern gefragt.

Die überfraktionelle Einigung des Bundestages zur Entscheidungslösung begrüßt Kirste, bleibt aber skeptisch, was die Umsetzung angeht. Die Menschen entschieden sich nur, wenn sie ausreichend informiert seien.

Dies effektiv zu tun hätten die Krankenkassen, der öffentliche Gesundheitsdienst, die Behörden und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in den vergangenen Jahren versäumt, sagte Kirste.

Die Strukturen müssten aber erst noch geschaffen werden, um die Menschen flächendeckend zu beraten und zu informieren. Zweifel äußerte Kirste an der geplanten Aufklärung per Informationsbroschüren. "Es ist zu befürchten, dass diese im Papierkorb landen", sagte Kirste.

Kritik an dem Entwurf kommt allerdings auch aus den Fraktionsreihen. Die Grünen hatten bereits Mitte März den fraktionsübergreifenden Konsens zur Änderung des Organspendegesetzes aus Datenschutz-Gründen wieder infrage gestellt. Mit einem Änderungsantrag wollen ihre Fachpolitiker eine Nachbesserung erreichen.

"Wir sorgen uns um den Datenschutz", sagte Grünen-Gesundheitspolitikerin Elisabeth Scharfenberg. Es gelte zu verhindern, dass Krankenkassenmitarbeiter die Organspende-Bereitschaft der Bürger auf deren Gesundheitskarten eigenständig eintragen dürften.

Linke fordern offene Diskussion

Linken-Politikerin Kathrin Vogler sieht den Gesetzentwurf in einer Schieflage: "Um das tatsächliche Beratungsbedürfnis kümmert er sich nur am Rande", sagte sie der "Ärzte Zeitung".

Zudem würden keine finanziellen Mittel zur Verfügung gestellt. Das könne nicht funktionieren, denn um Menschen zu beraten, brauche es geschultes Personal. Zudem dürfe das Gesetz nicht zum "Turbo für die ecard" werden, die die Linke ablehne.

Das Gesetz werde ohne sachliche Debatte zu schnell durchgeschleust: "Bei dem Gesetz handelt es sich statt um einen echten Gruppenantrag um ein top-down-Projekt", so Vogler. Die Fraktionsvorsitzenden hätten den Antrag initiiert und die Fraktionen erst nach der Fertigstellung einbezogen.

"Deswegen muss die Diskussion jetzt offen und transparent geführt werden", forderte sie. Einige Abgeordnete der Linken würden daher noch einen Änderungsantrag einreichen.

1200 Menschen haben 2011 Organe gespendet. Das sind 7,4 Prozent weniger als im Vorjahr. Die Zahl der gespendeten Organe ging um 7,1 Prozent auf 3 917 zurück.

Im nahezu gleichen Ausmaß sank auch die Zahl der Patienten, die aus dem Eurotransplant-Verbund ein Organ erhalten haben - nämlich auf 4.054. Die Zahl der Menschen, die auf ein Organ warten, ist mit 12.000 allerdings dreimal so groß.

Kein "Psychoterror für eine Entscheidung"

"Mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf wird es nicht mehr Organspender geben als zuvor", sagte Eugen Brysch, der Geschäftsführende Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung.

Die Ängste und Sorgen sowohl der Bürger als auch der Ärzte würden nicht ernst genommen. Es fehle an Aufklärung unter anderem über die tatsächlichen Entscheidungswege bei der Organvergabe. Auch auf die Widersprüche zwischen einer Patientenverfügung und einem Organspendeausweis gehe der Gesetzentwurf nicht ausreichend ein.

Während eine Patientenverfügung lebensverlängernde Maßnahmen unter bestimmten Umständen ausschließt, sind diese Maßnahmen bei spendebereiten Menschen, bei denen der Hirntod festgestellt wurde, notwendig.

Das Verhältnis von Organspende und Patientenverfügung werde im Gesetzentwurf nicht ausreichend diskutiert, sagte DSO-Chef Professor Günter Kirsten der "Ärzte Zeitung".

Grünen-Politikerin Birgitt Bender betonte, dass Kompromisse es nun mal so an sich hätten, dass nicht alle zufrieden sein. Immerhin sei erreicht worden, dass die Menschen zwar gefragt würden, aber kein "Psychoterror" für eine Entscheidung entstehe.

Wichtig sei jedoch, dass jetzt niemand vorgebe, dass aufgrund einer Gesetzesänderung "eine Flut von Organspendern zu erwarten" sei. Auch wenn sich die Zustimmungsquote erhöhe, gebe es weiterhin Menschen auf der Warteliste.

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