Transplantations-Prozess

Angeklagter Arzt weist alle Vorwürfe zurück

Mit einer heftigen Attacke gegen die Staatsanwaltschaft hat der Göttinger Transplantations-Prozess begonnen: Die Ermittler trügen Mitschuld an der sinkenden Organspendebereitschaft, erklärten die Verteidiger des angeklagten Chirurgen.

Von Heidi Niemann und Anno FrickeAnno Fricke Veröffentlicht:
Daumen hoch: Der ehemalige Chef der Göttinger Transplantationschirurgie Dr. O. am Montag im Göttinger Landgericht mit sichtbar positiver Geste zwischen seinen Verteidigern Ulf Haumann, Jürgen Hoppe und Steffen Stern.

Daumen hoch: Der ehemalige Chef der Göttinger Transplantationschirurgie Dr. O. am Montag im Göttinger Landgericht mit sichtbar positiver Geste zwischen seinen Verteidigern Ulf Haumann, Jürgen Hoppe und Steffen Stern.

© Stefan Rampfel/dpa

GÖTTINGEN. Im ersten Prozess zum bundesweiten Transplantationsskandal hat der angeklagte Chirurg am ersten Verhandlungstag vor dem Landgericht Göttingen alle Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen.

Der 46-jährige frühere Oberarzt der Transplantationschirurgie am Göttinger Universitätsklinikum erklärte, er habe immer das Wohl der Patienten im Fokus gehabt. Geld sei für ihn dabei nie ein Thema gewesen.

Er habe sich sogar vehement gegen eine Regelung in seinem Arbeitsvertrag gewehrt, wonach er ab der 21. Transplantation jeweils einen Bonus von 1500 Euro erhalten sollte. Der damalige Vorstand der Universitätsmedizin habe jedoch auf diesen Bonuszahlungen bestanden.

Zuvor hatte sein Verteidiger Professor Steffen Stern heftige Kritik an der Ermittlungsarbeit der Staatsanwaltschaft geübt.

Diese habe seinen Mandanten als "verantwortungslosen Halunken" dargestellt und sei mitverantwortlich dafür, dass die Organspendebereitschaft der Bürger gesunken sei.

Staatsanwalt André Schmidt wies dies mit dem Hinweis zurück, dass der Verteidiger hier offensichtlich Ursache und Wirkung verkenne.

Vorwurf: Versuchter Totschlag und Körperverletzung mit Todesfolge

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat den Mediziner wegen versuchten Totschlags in elf Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge in drei Fällen angeklagt.

Die Anklagebehörde wirft dem Mediziner vor, während seiner Tätigkeit am Göttinger Uni-Klinikum von Oktober 2008 bis Oktober 2011 durch die Meldung manipulierter medizinischer Daten an die Stiftung Eurotransplant Patienten als kränker dargestellt haben, als sie tatsächlich waren, damit sie schneller eine Spenderleber zugeteilt bekamen.

Fünf alkoholkranke Patienten hätten außerdem gar kein Spenderorgan erhalten dürfen, weil sie noch nicht die erforderliche Abstinenzzeit von sechs Monaten eingehalten hatten.

Durch die Manipulationen seien andere lebensbedrohlich erkrankte Patienten, die ein Organ dringender benötigt hätten, verstorben.

In einem Fall habe der Angeklagte gegenüber einer alkoholkranken Patientin geäußert: "Die Werte müssen nun hoch gesetzt werden." Um eine vermeintlich höhere Dringlichkeitsstufe anzeigen zu können, habe er veranlasst, dass die Betroffenen fälschlicherweise als Dialyse-Patienten gemeldet wurden.

Außerdem soll er drei Patienten eine Leber eingepflanzt haben, obwohl die Transplantation nicht erforderlich und außerdem zu riskant gewesen sei.

Alle drei Patienten - zwei 56 und 57 Jahre alte Männer und eine 54 Jahre alte Frau - seien unzureichend über die Risiken aufgeklärt worden und nach der Transplantation infolge von Komplikationen verstorben. Die Staatsanwaltschaft fordert ein Berufsverbot für den Chirurgen.

Der angeklagte Mediziner, der seit Anfang Januar in Untersuchungshaft sitzt, wird von drei Rechtsanwälten verteidigt. Außerdem steht ihm seine Ehefrau als Beistand zur Seite.

Die Zahnmedizinerin hat kürzlich von der Medizinischen Fakultät der Uni Regensburg wegen Plagiatsverdachts den Doktortitel aberkannt bekommen. Ihre Dissertation über Behandlungsstrategien beim Leberkrebs weist frappierende Ähnlichkeiten mit der Doktorarbeit ihres Mannes auf.

Heftige Kritik am MELD-Score

Der Chirurg übte heftige Kritik an dem Vergabesystem für die Organspenden und an der Bundesärztekammer. Es sei "erschreckend", was in deren Kommissionen ablaufe.

Viele Patienten, die dringend eine Leber benötigten, würden durch den sogenannten MELD-Score, der den Schweregrad einer Lebererkrankung angibt, gar nicht abgebildet.

Die Organvergabe nach dem MELD-Score sei auch deshalb problematisch, weil bei Patienten mit hohen Werten die Überlebenschancen sehr gering seien.

Er habe immer nach medizinischen Kriterien entschieden und sei "Tag und Nacht" für seine Patienten im Einsatz gewesen, betonte der 46-Jährige. Auch wenn er sich zu Kongressen im Ausland aufgehalten habe, sei er immer erreichbar gewesen.

Der Prozess, der am Freitag fortgesetzt wird, ist auch ein Politikum. Dabei zeigt sich, dass die Organisation der Organspende kontrovers beurteilt wird.

Bahr: Korrekturen tragen Früchte

Manipulationen der Warteliste wie in Göttingen könnten sich nicht wiederholen, sagte Gesundheitsminister Daniel Bahr zum Prozessauftakt.

Dafür habe der Gesetzgeber mit der Einführung des Sechs-Augen-Prinzips, nicht angemeldete Prüfungen und der verpflichtenden Transplantationskonferenzen sowie der Strafbewehrung der Manipulationen gesorgt.

Weitere Gesetzesänderungen schloss Bahr nicht aus, sollten sich aus dem Prozess gegen den früheren Oberarzt neue Erkenntnisse ergeben. "Wir konnten uns nicht vorstellen dass ein Arzt so viel kriminelle Energie entwickeln konnte", sagte Bahr.

Die neu eingeführte Entscheidungslösung zeitige erste Früchte, sagte Bahr. Die Krankenversicherer hätten ihm von positiven Rückmeldungen der Mitglieder berichtet, sich für oder gegen die Organspende zu entscheiden. In Deutschland sei die Spendenbereitschaft generell niedrig.

Der Abschlussbericht der Prüfkommission, die alle 24 Leberzentren unter die Lupe genommen hat, wird für Anfang September erwartet. Eine Verringerung der Transplantationszentren in Deutschland sei begrüßenswert, sagte Bahr.

Organisation der Organspende bleibt Streitthema

"Der Ruf nach einer Verstaatlichung des Organspendewesens durch Grüne und Linke führt in die Irre und verunsichert die Menschen unnötig", meldete sich der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn (CDU), zu Wort. "Keiner der Skandale wäre damit verhindert worden, denn da war kriminelle Energie im Spiel", sagte Spahn.

Ein Jahr nach Bekanntwerden des Transplantationsskandals hatten Politiker von Grünen und Linkspartei eine Reform des Organspendesystems in Deutschland gefordert.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast, sprach sich für eine öffentlich-rechtliche Institution aus, die die Koordination der Organspenden übernehmen solle. Bisher liegt diese Aufgabe bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation, der Stiftung Eurotransplant und der Bundesärztekammer.

Künast sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", die Bundesregierung habe "sich bislang einer grundlegenden Reform des Systems verweigert und sich mit kleinen Änderungen begnügt".

Die Bundestagsabgeordnete Kathrin Vogler (Linke), Vize-Vorsitzende des Gesundheitsausschusses, sagte dem Blatt, es müsse "neu und sehr grundsätzlich" über das System nachgedacht und auch dringend über Hirntoddiagnostik gesprochen werden.

Die Diagnose des Hirntods ist Voraussetzung für Organspenden. Trotz Hirntods sind aber viele Körperfunktionen noch aktiv.

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