Hintergrund

Pflege in der Zukunft: Kauft die Demenz-WG online ein?

Auch ein demografischer Wandel: Die Anforderungen an die Pflege werden sich deutlich ändern.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Wenn Senioren zusammenleben: Altersforscher gehen davon aus, dass sich die Pflege in den nächsten Jahrzehnten verändern wird. Beispiel Einkaufen: Pflegebedürftige könnten dann "Online-Shopping" nutzen.

Wenn Senioren zusammenleben: Altersforscher gehen davon aus, dass sich die Pflege in den nächsten Jahrzehnten verändern wird. Beispiel Einkaufen: Pflegebedürftige könnten dann "Online-Shopping" nutzen.

© Yuri Arcurs / fotolia.com

Wer Prognosen über die Anforderungen an die Pflege und die Pflegeversicherung der Zukunft erstellt, darf einen Fehler nicht machen: Annehmen, dass die Menschen morgen noch an den gleichen Alterskrankheiten leiden und ähnliche Ansprüche an die Pflege stellen werden wie die heute Lebenden.

Davon geht die Altersforscherin Professor Adelheid Kuhlmey aus. "Selbst wenn es dazu kommt, dass immer mehr Menschen ins hohe Lebensalter kommen, werden es nicht die gleichen Pflegebedürftigen sein wie heute", sagte die Direktorin des Instituts für Medizinische Soziologie an der Charité in Berlin auf der Euroforum-Konferenz "Zukunftsmarkt Pflegeversicherung" in Köln.

In 40 Jahren werde es selbstverständlich sein, Einkäufe per Computer zu erledigen. Die dafür heute noch notwendigen Hilfeleistungen für Ältere könnten wegfallen. "Wir werden in 40 Jahren nicht die gleichen Defizite kompensieren müssen", sagte Kuhlmey. Deshalb ergebe es keinen Sinn, den Status quo hochzurechnen.

Nach Einschätzung der Wissenschaftlerin gibt es zudem viele Möglichkeiten, der Pflegebedürftigkeit entgegenzuwirken. Das Präventions- und Rehabilitationspotenzial älterer Menschen werde zurzeit nur zu einem geringen Teil genutzt, betonte sie.

"Wir könnten die Pflegebedürftigkeit noch weiter ins hohe Alter verschieben." An einer Tatsache führe mit Blick auf die künftige Pflegesituation kein Weg vorbei: Mit der Zahl der Hochbetagten wird auch die Zahl der Demenzkranken zunehmen. "Ich beschäftige mich seit 20 Jahren mit dem Thema und ich glaube nicht mehr, dass wir in den nächsten zehn Jahren eine Therapie haben werden", sagte Kuhlmey.

Schon jetzt habe die Demenz andere Aufnahmekriterien für eine stationäre Versorgung wie die Inkontinenz verdrängt. Bislang sei es aber versäumt worden, sich über eine Anpassung der Versorgungsangebote Gedanken zu machen. "Unsere Fantasie gegenüber der stationären Versorgung ist uns leider abhanden gekommen", sagte Kuhlmey. Gefragt seien neue Wohnformen wie zum Beispiel Demenzwohnungen.

Für dringend notwendig hält sie auch einen Ausbau der unterstützenden Angebote für pflegende Familienangehörige. Es fehlten Strukturen für die Kooperation der privat Pflegenden mit professionellen Einrichtungen.

"Pflegende brennen aus, weil sie sich gänzlich allein in der Pflege fühlen." Kuhlmey geht davon aus, dass die Versorgung durch die Familie auch künftig eine entscheidende Rolle spielen wird. "Mir hat noch niemand bewiesen, dass das Modell Familienpflege ausläuft", sagte sie.

Bei den Leistungsempfängern der sozialen Pflegeversicherung ist der ambulante Sektor dominierend, sagte der Gesundheitsökonom Professor Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen. "Aber die Dynamik im stationären Bereich ist deutlich größer."

Der Großteil der Pflegebedürftigen im ambulanten Sektor nehme nach wie vor Pflegegeld in Anspruch. Während sich die Leistungszahlen dabei aber kaum noch veränderten, ziehe die Inanspruchnahme von Sachleistungen oder die Kombination von Sach- und Geldleistungen deutlich an. "Das ist ein Indikator dafür, dass die Familien zunehmend erkennen, wo sie an die Grenzen der Pflegefähigkeit stoßen", sagte Wasem.

Rechnet man die gesetzliche und die private Pflegepflichtversicherung zusammen, entfällt auf die privaten Unternehmen ein unterproportionaler Teil der Ausgaben. "Wir haben hier nur gut drei Prozent der Ausgaben, obwohl es um zehn Prozent der Bevölkerung geht."

Das zeige, dass es bei den Privatversicherten eine geringere Pflegehäufigkeit gibt. Mit Ausnahme der über 90-Jährigen ist die Prävalenz der Pflegebedürftigen bei den gesetzlich Versicherten in allen Altersgruppen größer als bei den Privatversicherten. "Wir haben in der privaten Pflegeversicherung eine deutlich günstigere Risikostruktur der Versicherten, die zu wesentlich geringeren Fallzahlen führt", sagte Wasem.

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