20 Jahre Pflegeversicherung

"Ein Meilenstein der Sozialpolitik"

Die Beschlüsse zur Pflegeversicherung werden 20 Jahre alt. Die Versicherung gilt als Erfolgsmodell - und steht doch oft in der Kritik.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Die Pflegeversicherung sollte das Pflegerisiko vom Ruch der Armut befreien.

Die Pflegeversicherung sollte das Pflegerisiko vom Ruch der Armut befreien.

© Olaf Karwisch / panthermedia.net

BERLIN. Der Vorsitzende des Kuratoriums Deutsche Altenhilfe, Jürgen Gohde, sieht großen Handlungsbedarf bei der Reform der Sozialen Pflegeversicherung. Es sei eine Katastrophe, dass wieder 439.000 Menschen in der Pflege auf Sozialhilfe angewiesen seien. Eine Ursache sei der Rückzug der Kommunen aus eigenen Pflegediensten und Einrichtungen, der mit der Einführung der Pflegeversicherung eingesetzt habe. Diese Entwicklung müsse umgekehrt werden.

Der damalige Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU), als dessen "Baby" die Pflegeversicherung gilt, war ausdrücklich angetreten, das Pflegerisiko vom Ruch von Armut und Fürsorge zu befreien. Von den gut eine Million Menschen, die damals pflegebedürftig waren, waren geschätzt zwei Drittel auf Hilfen des Staates angewiesen.

Knapp 20 Jahre nach den Beschlüssen von Bundestag und Bundesrat am 22. und 27. April 1994 zur Einführung der fünften Säule der Sozialversicherung haben Praktiker und Politiker bei einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Berlin auf nicht überwundene Kinderkrankheiten der umlagefinanzierten Pflegeversicherung hingewiesen.

Die Tatsache an sich, dass jemand pflegebedürftig werde, dürfe nicht in die Sozialhilfe führen, bemerkte Malu Dreyer, Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz. Lob für die soziale Errungenschaft verteilte sie dennoch.

Pflegebedürftigkeit bedeute nicht nur einen massiven Einschnitt in die Gesundheit, sondern belaste auch die finanzielle Leistungsfähigkeit der Betroffenen. "Die Einführung der Pflegeversicherung bedeutet einen echten Meilenstein in der Sozialpolitik", sagte Dreyer.

Das Ziel, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, habe längst nicht den Stellenwert, den es haben könnte, sagte Jürgen Gohde weiter. Die in der Versicherung angelegte Rehabilitationsorientierung vor Beginn und während der Pflegebedürftigkeit sei bis heute nicht vollständig umgesetzt.

Unerledigt sei auch die Formulierung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. "Die die heute zögern, den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff umzusetzen, müssen wissen, dass sie den Zustand der Ungleichbehandlung von Menschen mit Behinderung fortschreiben", sagte Gohde mit Blick auf die Diskussion, die Regierung versuche die vollständige Einführung einer betreuungsintensiveren Pflege auch für Menschen mit einer Demenz auf die lange Bank zu schieben.

"Unser Blick auf die Pflege ist davon geprägt, was die Pflegeversicherung bezahlt", sagte die Vorsitzende der Deutschen Alzheimergesellschaft Heike von Lützau-Hohlbein. Von Bettlägerigkeit und den dann notwendigen Betreuungsleistungen.

Ein neuer Pflegebegriff biete die Chance für einen Perspektivenwechsel, nämlich alle Stadien von Demenzerkrankungen wahrzunehmen. In frühen Stadien bräuchten diese Menschen weniger Pflege, und mehr Zuwendung.

Diskutiert wird auch über die ökonomischen Auswirkungen der Pflegeversicherung. Ulla Schmidt (SPD), Gesundheitsministerin bis 2009, bezeichnete es als großen Fehler, dass die Pflegeversicherung der Krankenversicherung folge. Der Anteil privat Pflegeversicherter sorge für eine Entmischung der Risiken.

Auch Opposition und Gewerkschaften hegen Sympathien für eine Pflegevollversicherung. Verdi-Vorstand Sylvia Bühler verwies auf das Konzept, das die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi vor gut einem Jahr vorgeschlagen hatte. Der Markt, auf dem die Akteure um das Geld der Pflegeversicherung konkurrierten, hat viele Arbeitsplätze geschaffen.

Pflegekräfte würden allerdings so schlecht bezahlt, dass ihnen Altersarmut drohe, sagte Verdi-Vorstand Sylvia Bühler. Statt wie bisher um die 2000 Euro brutto für examinierte Kräfte sollten die Arbeitgeber eher 3000 Euro brutto bezahlen.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Nicht alles ist versicherbar

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