Streit um Generalistik

Die Pflege gehört aufgewertet!

Die Bundesregierung will die drei Pflegeausbildungen in einer Basisqualifizierung zusammenführen. Jetzt ist das Vorgehen ins Stocken geraten. Ein Gesetzentwurf könnte zeigen, dass die Politik noch an ihre ehrgeizigen Ziele glaubt.

Von Susannne Werner Veröffentlicht:
Schule für Gesundheits- und Krankenpflege: Soll künftig weiter getrennt oder gemeinsam ausgebildet werden?

Schule für Gesundheits- und Krankenpflege: Soll künftig weiter getrennt oder gemeinsam ausgebildet werden?

© Chromorange Ernst / dpa

BERLIN. Mit dem Pflegeberufegesetz will die Bundesregierung die Ausbildungen zur Gesundheits- und Krankenpflege, zur Kinderkrankenpflege und zur Altenpflege in einer Basisqualifizierung zusammenführen. Doch offenbar ist das Vorgehen ins Stocken geraten.

So bezweifelte jüngst Erwin Rüddel, pflegepolitischer Sprecher der CDU, in seinen "Gedanken zum Pflegeberufegesetz", dass das angestrebte Ziel zu erreichen ist. Er empfiehlt das Vorhaben aufzugeben und nochmals grundsätzlich neu zu überlegen.

Die Beteiligten sind auch verunsichert, da bislang nur ein Arbeitsentwurf der verantwortlichen Ministerien vorliegt.

Die erneut ausgelöste Debatte um eine generalistische Pflegeausbildung dreht sich im Kern um die Frage, was unter einer professionellen Pflege zu verstehen ist: Geht es um ein spezielles Fachwissen, das sich am Alter des Pflegebedürftigen oder am jeweiligen Sektor ausrichtet?

Oder gibt es nicht eher Kompetenzen, die alle Pflegefachkräfte benötigen - unabhängig davon ob ein Kind, ein Erwachsener oder ein Senior ihrer professionellen Unterstützung bedarf? Letztere Ansicht vertreten die Befürworter der Generalistik.

Sie sehen in der Pflegeplanung, Koordination, Information und Beratung der Patienten und deren Angehörigen die zentralen Aufgaben von Pflegefachkräften - egal, wo diese eingesetzt werden.

Einzelne Pflegeschulen haben schon umgestellt

Diese Kompetenzen lassen sich in der Tat in einem zusammengeführten Ausbildungsweg vermitteln. Denn eine generalistisch angelegte Pflegeausbildung will nicht die Inhalte von Kinderkrankenpflege, Gesundheits- und Krankenpflege sowie Altenpflege einfach addieren.

Es geht vielmehr um ein neues Lehrkonzept, das die allgemeine, professionelle Pflege von Menschen aus unterschiedlichen Altersgruppen und in unterschiedlichen Settings vermittelt und eine Spezialisierung später anschließt. Vorbild dafür ist das Medizinstudium, das ebenfalls zuerst breit ausbildet. Eine spezifische Qualifikation zum Facharzt folgt danach.

Verschiedene Krankenpflegeschulen haben nach erfolgreichen Modellversuchen ihre Ausbildungsangebote bereits auf die Generalistik umgestellt. Die Wannseeschule in Berlin ist ein Beispiel dafür, aber auch die Akademie des Städtischen Klinikums München.

Letztere schreibt auf ihrer Homepage, dass die Gesundheits- und Krankenpflege mit generalistischem Profil "ein international, anerkannter krisensicherer und faszinierender Beruf" ist. Die Möglichkeiten der späteren Berufstätigkeit seien breit gestreut.

Darum geht es auch den Befürwortern der Generalistik: Sie wollen den Pflegeberuf insgesamt attraktiver machen - durch unterschiedliche Karriereoptionen und die europaweite Anerkennung für deutsche Altenpfleger.

Gegner sehen genau darin die Gefahr. Sie fürchten, dass Altenpflegekräfte abwandern, eben weil sie breit ausgebildet sind und die Arbeit im Krankenhaus attraktiver einschätzen könnten als die in der Altenpflege. Damit taucht eine weitere Kernfrage in der Debatte auf:

Wird die Generalistik die Altenpflege eher aufwerten, eben weil sie breite Kompetenzen vermittelt? Oder geht die Altenpflege dann in der Konkurrenz mit anderen Pflegefeldern erst recht unter - eben weil es ein anderer Bereich ist, eben weil die Pflegebedürftigen in der Regel Menschen am Lebensende sind?

Wer der letzten These nachhängt, läuft Gefahr, die Fürsorge für alte Menschen erst recht abzuqualifizieren anstatt sie aufzuwerten. Es führt also kein Weg daran vorbei, die Argumente für die Generalistik ernst zu nehmen, wenn man die Altenpflege nicht unbewusst ins Abseits schieben will.

Curricula aus Modellversuchen liegen vor

Aber auch die Bedenken der Betreiber von Altenpflegeeinrichtungen müssen gehört werden. Dass sie Sorgen plagen, ob ihr Personal auch morgen noch zur Verfügung steht, ist verständlich. Dies als bloßen Lobbyismus abzuwerten, hilft nicht weiter.

Für viele Beteiligte ist unklar, wie sich die generalisierte Pflegeausbildung in der Praxis konkret umsetzen lässt. Schließlich droht, dass sich die Pflegeausbildung mit einer späteren Spezialisierung deutlich verlängert.

Die Politik ist gefordert, hier Farbe zu bekennen und einen Gesetzentwurf vorzulegen - auch wenn das Vorgehen komplex ist. Zwei Bundesministerien sind beteiligt und verschiedene Ressorts aus 16 Bundesländern sprechen mit. Aber es sind auch vielfache Vorleistungen erbracht.

Im Rahmen der Modellversuche sind in einzelnen Bundesländern bereits Curricula erarbeitet worden - beispielsweise auch in Bayern. Die Gesundheitspolitiker müssen zeigen, dass sie selbst an die Umsetzung ihrer ehrgeizigen Vorhaben glauben.

Die generalistische Ausbildung ist ein erster Schritt, um mit der Aufwertung der Pflege zu beginnen. Viele weitere müssen folgen. Wenn dies die Politik klar signalisiert und Priorität setzt und lebt, wird es auch Skeptiker überzeugen.

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