Personaluntergrenzen

Zwei Patienten pro Pflegekraft auf Intensivstation – Kliniken rebellieren

Jens Spahn macht Ernst mit Pflegeuntergrenzen. Sein Verordnungsentwurf geht ins Detail. Die Klinik-Lobby, die aus den Verhandlungen ausgestiegen war, gibt sich entsetzt.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Wie viele Pflegekräfte auf einer Intensivstation arbeiten müssen, wird künftig exakt geregelt.

Wie viele Pflegekräfte auf einer Intensivstation arbeiten müssen, wird künftig exakt geregelt.

© K-H Krauskopf, Wuppertal

BERLIN. Verbunden mit Vorwürfen in Richtung Selbstverwaltung hat das Bundesgesundheitsministerium den Referentenentwurf einer Verordnung für Personaluntergrenzen im Krankenhaus vorgelegt. Das "Versagen" der Selbstverwaltung "erfordert unser Handeln zum Schutz der Patienten", sagte Minister Jens Spahn (CDU).

Ziel der Vorgabe sei es nicht, "das Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot" für die Versorgungsleistungen "abschließend zu konkretisieren", heißt es in dem Entwurf, der der "Ärzte Zeitung" vorliegt. Es geht um einen "Zugewinn an Versorgungssicherheit". Zentrale Punkte im Entwurf:

  • Wer ist betroffen? Im kommenden Jahr gelten Vorgaben für Intensivmedizin, Geriatrie, Unfallchirurgie und Kardiologie, die als "pflegesensitive" Bereiche festgelegt werden. Gleiches gilt für die Neurologie und Herzchirurgie. Dort werden aber wegen fehlender Daten zunächst keine Untergrenzen markiert. Das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) ermittelt die betroffenen Krankenhäuser und Fachabteilungen bis Ende Oktober. Bis Ende November können die Krankenhäuser Einwände erheben. Das InEK prüft diese bis 15. Dezember. Zwei Wochen später tritt die Verordnung Anfang 2019 in Kraft.
  • Wie wird kontrolliert? Die Einhaltung der Pflegepersonaluntergrenzen wird als Durchschnittswert monatsbezogen ermittelt. Quartalsweise müssen Krankenhäuser sämtliche Schichten anzeigen, in denen die Grenzen unterschritten wurden.
  • Welche Grenzen gelten? Untergrenzen gelten stations- und schichtbezogen als Verhältnis von Patienten zu einer Pflegekraft. 1. Intensivmedizin: Tagschicht: 2:1, Nachtschicht: 3:1; gleiche Vorgaben für Wochenende und Feiertag. 2. Geriatrie: Tagschicht 10:1, Nachtschicht: 24:1; Wochenende, Feiertag: Tagschicht: 11:1, Nachtschicht: 24:1. 3. Unfallchirurgie: Tagschicht 10:1, Nachtschicht: 20:1; Wochenende, Feiertag: Tagschicht 11:1, Nachtschicht 21:1. 4. Kardiologie: Tagschicht: 11:1, Nachtschicht: 24:1; Wochenende, Feiertag: Tagschicht: 13:1, Nachtschicht: 23:1.
  • Welche Höchstgrenze gilt für den Anteil von Pflegehilfskräften?: Intensivmedizin: 8,5 Prozent (Tag), 5,9 Prozent (Nacht). Geriatrie: 18,2 Prozent (Tag), 40 Prozent (Nacht). Unfallchirurgie: 10,5 Prozent (Tag), 16,4 Prozent (Nacht). Kardiologie: 7,8 Prozent (Tag), 13,9 Prozent (Nacht).

Ausnahmen von den Vorgaben sind nur zugelassen bei "kurzfristig unverschuldeten und unvorhersehbaren Personalausfällen", bei Epidemien sowie Katastrophenfällen.

Vermittlungsversuch des BMG scheiterte

Über Monate hinweg hatten GKV-Spitzenverband und Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sich in den Verhandlungen festgebissen, auch ein Vermittlungsversuch des BMG scheiterte. Die DKG bezeichnete die Vorgaben für Intensivstationen als "unrealistisch hoch".

Als Folge müssten viele dieser Stationen ihre Behandlungskapazitäten verknappen. Durch Untergrenzen entstünden "keine Pflegekräfte, die es auf dem Arbeitsmarkt nicht gibt".

Der Verband wollte ursprünglich erreichen, dass die Mindestbesetzung nur im Durchschnitt eines Quartals eingehalten werden muss, nicht aber in jeder Schicht. Der GKV-Spitzenverband hat Untergrenzen stets als nur einen Schritt zu mehr Patientensicherheit bezeichnet. Sie seien keine Anhaltszahlen und dürften nicht das einzige Instrument sein, um Pflegequalität zu steigern.

Stufenmodell für Pflegelast

Unter Moderation des BMG hatten Kassen und Kliniken im Frühjahr ein Stufenmodell für die Einführung von Untergrenzen entwickelt, bei der die pflegesensitiven Bereiche anhand der "Pflegelast" empirisch ermittelt werden sollten. Als die DKG diese Kompromisslinie nicht weiter mittragen wollte, zog das BMG die Notbremse –  der Verordnungsentwurf enthält entsprechend wieder viele Elemente des Stufenmodells.

Der BMG-Entwurf stellt eine sogenannte Ministerverordnung dar. Die dafür im Gesetz vorhandene Ermächtigungsgrundlage reichte aber nicht aus, um Regelungen aufzunehmen, die Personalverlagerungen in den Kliniken hätten verhindern sollen. Gleiches gilt für die Bestimmung der Vergütungsabschläge, falls Untergrenzen nicht eingehalten werden. Hier dürfen die Kliniken die Höhe ihrer Strafen wieder selbst mitbestimmen.

Skepsis und Zustimmung

Die Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste (DGF) kündigte in einer ersten Reaktion an: "Wir werden die Praxis beobachten!" Für die Grünen im Bundestag bezeichnete Kordula Schulz-Asche, Sprecherin für Pflegepolitik in ihrer Fraktion, die Ersatzvornahme als einen "richtigen Schritt".

Sie mahnte, eine Personalbemessung für alle bettenführenden Bereiche an, um zu vermeiden, dass Personal aus anderen Bereichen abgezogen wird und sich die Versorgung dort verschlechtert.

Spahn hat die Verordnung bis Ende 2019 befristet. Danach –  so die Hoffnung – soll wieder eine von Kassen und DKG erarbeitete Regelung an ihre Stelle treten. Dafür hat das BMG das Programm bereits in der Verordnung vorgegeben. "Sachgerecht" scheine es, die Untergrenzen auf zusätzliche pflegeintensive Bereiche auszuweiten und eine Differenzierung nach dem Pflegeaufwand vorzunehmen, heißt es im Entwurf.

Lesen Sie dazu auch: Spahn legt Personalgrenzen für Kliniken per Verordnung fest

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