Bundeskabinett

Pflege-Beiträge steigen

Der Beitragssatz der Pflegeversicherung wird um 0,5 Prozentpunkte angehoben, hat das Bundeskabinett beschlossen. 7,6 Milliarden Euro Mehreinnahmen erwartet die Koalition durch die Erhöhung. Die Opposition bezweifelt, ob dies reicht. Rufe nach einem Steuerzuschuss werden laut.

Anno FrickeVon Anno Fricke und Florian StaeckFlorian Staeck Veröffentlicht:
Der Beitragssatz zur Pflegeversicherung soll bald steigen. Doch reicht das aus?

Der Beitragssatz zur Pflegeversicherung soll bald steigen. Doch reicht das aus?

© fotomek / stock.adobe.com

BERLIN. Der demografische Wandel schlägt auf die Sozialausgaben durch. In der zweiten Legislatur hintereinander werden die Beiträge zur Pflegeversicherung um 0,5 Prozentpunkte steigen. Am Mittwoch hat das Kabinett die Änderung durchgewunken.

Das Gesetz zur "Änderung des Elften Sozialgesetzbuches" tritt am 1. Januar 2019 in Kraft. Der Beitragssatz zur Pflegeversicherung steigt damit auf 3,05 Prozent (siehe nachfolgende Grafik), für Kinderlose auf 3,3 Prozent. Derzeit zahlen Kinderlose bis zu 11,06 Euro im Monat mehr in die Versicherung ein.

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"Bessere Pflege kostet", kommentierte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Beitragssteigerung. Den erneuten Griff in die Taschen der Beitragszahler begründete der Minister damit, dass die in der vergangenen Legislaturperiode eingeführten Leistungen stärker in Anspruch genommen würden als erwartet.

"In dieser Legislatur wollen wir die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte verbessern. Das muss uns als Solidargemeinschaft etwas wert sein", sagte Spahn.

Mehreinnahmen von 7,6 Milliarden Euro kalkuliert

Aus den Pflegereformen der vergangenen Legislatur, unter anderem der Ausweitungen der Leistungen der Pflegeversicherung auf Menschen mit einer Demenz, ergebe sich voraussichtlich ein Defizit in der Pflegeversicherung von drei Milliarden Euro alleine für dieses Jahr, rechnet das Gesundheitsministerium vor, der GKV-Spitzenverband geht sogar von 3,5 Milliarden Euro aus.

 Zudem soll mit den erwarteten rund 7,6 Milliarden Euro an Mehreinnahmen pro Jahr ab 2019 die Anpassung der Sachleistungsbeträge in der Pflegeversicherung an die Personalentwicklung und eine weitere Entlastung pflegender Angehöriger umgesetzt werden.

Seit 2015 speist 0,1 Prozentpunkte der Beitragseinnahmen, und damit derzeit mehr als 1,5 Milliarden Euro, einen Vorsorgefonds, aus dem ab 2035 ein weiterer Anstieg der Beiträge zur Pflegeversicherung gedämpft werden soll. Diesen Fonds hatte Spahn als führender Gesundheitspolitiker der CDU-Fraktion in den Koalitionsverhandlungen 2013 durchgesetzt.

Beitragssatz soll bis 2022 Bestand haben

Die Erhöhung des Pflegebeitrags wirkt sich bis in die Arbeitslosen- und Rentenversicherung hinein aus. Daher erfordert der höhere Beitragssatz in der Pflegeversicherung auch höhere Renten, um das beschlossene Sicherungsniveau zu halten.

Damit müsse perspektivisch auch der Beitrag zur Rentenversicherung ab 2023 auf 19,6 Prozent steigen, heißt es in der Gesetzesbegründung. Unterdessen wird der Bundeszuschuss zur Rente 2019 erstmals fast die Marke von 100 Milliarden Euro erreichen.

Der am Mittwoch beschlossene Beitragssatz soll bis 2022 Bestand haben. Ein ähnliches Versprechen hatte bereits Spahns Amtsvorgänger Hermann Gröhe (CDU) im vergangenen Jahr gegeben – es musste nach einem Kassensturz von Spahn in diesem Frühjahr kassiert werden. Allein im Vorjahr sind die Leistungsausgaben um fast 26 Prozent auf 35,5 Milliarden Euro nach oben geschossen.

Der GKV-Spitzenverband hat den weiteren zusätzlichen Finanzbedarf in der Pflegeversicherung bis 2022 auf 10,5 Milliarden Euro taxiert. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Zahl der Leistungsempfänger jährlich um 130.000 bis 160.000 steigen wird.

Die Mehrausgaben durch das aktuell beratene Pflegestärkungsgesetz werden auf 250 Millionen Euro pro Jahr geschätzt. Allerdings sollen die 13.000 zusätzlichen Pflegestellen aus der GKV quersubventioniert werden – das wird die Kassen pro Jahr fast 700 Millionen Euro kosten.

"Reflexhafte Anhebung"

Die Opposition bezweifelt, dass nun bis 2022 Ruhe an der Beitragsfront herrschen wird. Allein 0,3 Beitragspunkte seien nötig, um die Mehrkosten der Pflegereformen aus der vergangenen Legislatur abzufedern, erklärte Kordula Schulz-Asche von den Grünen: "Die restlichen 0,2 Beitragspunkte werden daher kaum ausreichen, um die künftigen Kosten für gute Pflege zu decken."

Die Summe der versicherungsfremden Leistungen wird sich nach einer Berechnung der Kassen in diesem Jahr auf 2,7 Milliarden Euro addieren – etwa für die Alterssicherung pflegender Angehöriger, die Förderung der ehrenamtlichen Pflege oder den Aufbau von Selbsthilfegruppen.

Gernot Kiefer vom GKV-Spitzenverband rügte daher die "reflexhafte Anhebung des Beitragssatzes, ohne einen Bundeszuschuss als alternative Möglichkeit zu prüfen". Spahn nannte es am Mittwoch "irritierend", dass die Kassen am lautesten Bundeszuschüsse fordern würden.

Grundsatzdebatte längst eröffnet

Indes ist die Grundsatzdebatte über die künftige Finanzierung der Pflege längst eröffnet. Die Deutsche Aktuarvereinigung hat in einer Studie jüngst die optimistischen Szenarien der Bundesregierung für die Entwicklung der Beitragssätze in GKV und Pflege hinterfragt.

So geht der sogenannte Tragfähigkeitsbericht der Regierung davon aus, dass der GKV-Beitragssatz bis 2060 auf 16 bis 17 Prozent steigen wird – nach Berechnungen der Versicherungsmathematiker könnten es dagegen bis zu 25 Prozent sein.

Ähnlich in der Pflege: Allein die demografische Alterung werde den Beitragssatz auf 4,5 bis 6 Prozent steigen lassen.

Nimmt man weitere Faktoren (etwa den medizinisch-technischen Fortschritt) im Szenario hinzu, sind bis 2060 Beitragssätze in der Pflegeversicherung von bis zu 8,5 Prozent möglich.

Wir haben den Beitrag aktualisiert und verlängert am 10.10.2018 um 16:11 Uhr.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Die Debatte ist eröffnet

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