Personaluntergrenze

Fluch oder Segen für die Pflege?

Damit zusätzliches Geld nicht für eine neue Kliniklobby ausgegeben wird, sondern bei den Pflegekräften ankommt, braucht es klare Vorgaben. Das betonten Experten auf dem Gesundheitspflegekongress von Springer.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Pflegekräfte in einer Klinik: Personaluntergrenzen sind eine Vorgabe, die Risiken birgt.

Pflegekräfte in einer Klinik: Personaluntergrenzen sind eine Vorgabe, die Risiken birgt.

© upixa / Fotolia

HAMBURG. Ist die Personaluntergrenze von heute die Obergrenze von morgen? Nutzen Klinikmanager die neuen gesetzlichen Vorgaben, um Personal zwischen den Abteilungen zu verschieben?

Oder wirken die Untergrenzen wie ein Magnet auf Pflegekräfte, weil sie endlich mit einer verlässlichen Zahl an Kollegen zusammenarbeiten?

Diese und weitere Fragen stellten sich die Besucher des 16. Gesundheitspflegekongresses von Springer Pflege in Hamburg.

Die Diskussion um die Personaluntergrenzen in Krankenhäusern zeigte, wie stark das Thema die Pflegekräfte berührt. „Ich sehe die Gefahr, dass Einrichtungen ihre Personalstärke auf die Untergrenze herunterfahren“, sagte ein Teilnehmer.

Diese Befürchtung teilten viele Besucher. Denn die ab Januar für die „pflegesensitiven“ Bereiche Intensivmedizin, Kardiologie, Geriatrie und Unfallchirurgie geltenden Untergrenzen für Tag- und Nachtschichten wurden vom Bundesgesundheitsministerium so gesetzt, dass drei Viertel der Einrichtungen diese bislang überschreiten.

Trotzdem ein richtiger Schritt

Eine Vorgabe mit Risiken also – ein Verzicht auf die Untergrenzen forderte in Hamburg dennoch niemand.

Trotz sich abzeichnender Probleme in der Umsetzung waren sich Pflegedirektor Peter Bechtel aus dem Universitäts-Herzzentrum Freiburg-Bad Krotzingen, Maren Puttfarcken, Leiterin der Landesvertretung der Techniker Krankenkasse (TK) in Hamburg, und Burkhardt Zieger, Geschäftsführer des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK) Nordwest, einig, dass die Untergrenze ein richtiger Schritt ist. Unterstrichen wurde dies durch Erfahrungen aus anderen Ländern.

Sandra Mehmecke, Präsidentin der Pflegekammer in Niedersachsen, verwies auf das Beispiel Kalifornien: Dort herrschten bei Einführung der Untergrenzen vergleichbare Befürchtungen wie heute in Deutschland. Tatsächlich wirkten die Untergrenzen dann aber wie ein Magnet auf die Pflegekräfte, weil sie mit verlässlicher Zahl an Kollegen eine höhere Arbeitszufriedenheit erwarteten.

Laut Mehmecke ist die Attraktivität des Berufes damit in Kalifornien heute gestiegen. Zwischenzeitlich hätten Arbeitgeber zwar im Gegenzug Hilfskräfte entlassen und versucht, Fachkräften auch Aufgaben außerhalb ihrer Kernkompetenzen aufzubürden – diese Entwicklung sei jedoch gestoppt worden, berichtete sie.

Nicht gelöst ist jedoch die Frage, wo die für eine solche Sogwirkung erforderlichen Pflegefachkräfte herkommen sollen. Deshalb müssen nach Ansicht von Experten wie Bechtel den Untergrenzen nun weitere Schritte folgen.

"Pflege ist ein Erfolgsfaktor"

Er hält es für wichtig, dass die Wertschöpfung, die durch Pflege entsteht, deutlicher wird. „Pflege ist kein Kosten-, sondern ein Erfolgsfaktor. Das muss stärker ins Bewusstsein gerückt werden“, sagte er.

Puttfarcken forderte, dass die Ausgaben für Pflege transparenter werden: „Das Geld, das wir für die Pflege ausgeben, muss auch in der Pflege ankommen: Am Bett und bei den Pflegenden.“

Wie die Mittel etwa für das Pflegesonderprogramm tatsächlich ausgegeben werden, sei derzeit nicht klar belegt.

Mit der Forderung nach Transparenz lag Puttfarcken auf Linie des DBfK: Dessen Referent Stefan Schwark kritisierte die fehlende Zweckbindung von Mitteln, die nach seiner Beobachtung manchmal eher für eine „Hotellobby“ in Krankenhäusern, statt für die Pflege ausgegeben werden.

Ohne die Zweckbindung von Mitteln, befürchtet Schwark, bleibe die Pflege „ein Spielball des Systems“.

Spahn treibt die Sau durchs Dorf

Auch Bechtel äußerte Kritik: Er vermisst in erster Linie eine klare Orientierung durch den Gesetzgeber und Zeit, sich auf stets neue Vorgaben einstellen zu können. „Spahn treibt jede Woche ein anderes Tier durchs Dorf“, sagte Bechtel zur Schnelllebigkeit im Gesundheitswesen.

Er sprach sich in Hamburg gegen weitere Vorgaben durch den Gesetzgeber aus, sondern appellierte an die Beteiligten, selbst zu Lösungen zu kommen: „Das Korsett wird mir sonst zu eng.“

Allerdings: Dass Spahns Ministerium sich in Fragen wie Personaluntergrenzen einmischt, haben die Beteiligten auch der Selbstverwaltung zu verdanken – die hatte sich nach langen Verhandlungen zuvor wie berichtet nicht einigen können.

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