Polypharmazie

Software soll Sicherheit bieten

Neue Medikamente nach dem Klinikaufenthalt, neue Medikamente nach dem Facharztbesuch: Für Hausärzte ist es oft extrem schwierig, bei ihren Patienten den Überblick zu behalten. Jetzt wird europaweit ermittelt, ob eine spezielle Software helfen kann.

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KÖLN. In einer europaweiten Studie wollen Wissenschaftler herausfinden, ob und wie Hausärzte durch eine elektronische Entscheidungshilfe in ihrer Verordnungstätigkeit unterstützt werden können. Im Blickpunkt steht dabei der Umgang mit der Medikation, die Patienten von Kliniken oder Fachärzten erhalten haben.

Koordiniert wird die Studie zur Polypharmazie von Professor Andreas Sönnichsen, Leiter des Instituts für Allgemeinmedizin und Familienmedizin der Universität Witten/Herdecke (UWH). Neben seinem Institut nehmen auch die Universität Rostock sowie Partner aus Finnland, Großbritannien, Österreich und Italien teil.

"Wir wollen insgesamt 3500 Patienten und 600 bis 700 Praxen von Allgemeinmedizinern einbeziehen", sagt Sönnichsen der "Ärzte Zeitung". Die Studie wird über das 7. Forschungsrahmenprogramm der EU gefördert und soll über zwei Jahre laufen.

Dass Handlungsbedarf besteht, hat eine Vorabstudie der UWH mit 169 Patienten aus 22 Hausarztpraxen gezeigt. In die Untersuchung einbezogen waren Patienten, die im Durchschnitt neun verschiedene Medikamente pro Tag erhielten.

Bei 2,7 der Mittel fanden die Forscher keine wissenschaftliche Begründung für die Verordnung. Über 90 Prozent wiesen mindestens eine unbegründete Verschreibung auf.

Nach Angaben der UWH fanden sich bei 56 Prozent der Patienten Dosierungsfehler und bei 59 Prozent relevante Interaktionen zwischen den Medikamenten. Von den über 65-Jährigen erhielten 37 Prozent Arzneimittel, die bei älteren Menschen nicht verordnet werden sollten.

Viele Hausärzte hätten gar nicht die Zeit und die Möglichkeit, lange Listen mit der Entlassmedikation aus der Klinik oder die Verordnungen von Fachärzten zu überprüfen, sagt Sönnichsen.

Ein weiteres Problem sei, dass der Hausarzt in der Regel keine Übersicht darüber hat, welche Arzneimittel einem Patienten insgesamt von Fachärzten verordnet werden.

Die elektronische Entscheidungshilfe soll den Hausärzten das Leben erleichtern. "Die Software überprüft anhand der Diagnosen und der Patientendaten die Indikation und das Verhältnis von Risiken und Nutzen beim einzelnen Patienten", erläutert Sönnichsen.

In der Studie stützen sich die Wissenschaftler auf eine in Finnland entwickelte Software. Mit ihr können Ärzte überprüfen, ob eine Medikation leitliniengerecht ist. "Bei unserem Instrument ist das nicht die Zielrichtung." Die Software biete aber die notwendigen IT-technischen Voraussetzungen.

Langfristig soll die Entscheidungshilfe in die Praxissoftware integriert werden. Das werde in der Studie wegen der Vielzahl der unterschiedlichen Software-Angebote noch nicht funktionieren, sagt Sönnichsen. (iss)

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