Im Südwesten

Präventionsgesetz ohne Wirkung

Die schwarz-gelbe Koalition braucht ein Präventionsgesetz für ihre politische Bilanz. In Baden-Württemberg hilft den Akteuren vor Ort dieses Gesetz nicht weiter.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Gesunde Lebenswelten: Eine Zahnärztin erklärt richtiges Zähneputzen.

Gesunde Lebenswelten: Eine Zahnärztin erklärt richtiges Zähneputzen.

© dpa

BERLIN/STUTTGART. Wenn der Bundestag am Freitag den Entwurf des Präventionsgesetzes erstmals berät, werden sich viele Akteure in Baden-Württemberg zurücklehnen. Das Präventionsgesetz in der vorliegenden Form hilft ihnen nicht weiter.

Im Südwesten geht man mit Kommunalen Gesundheitskonferenzen einen eigenen Weg. Dort beraten Kreise, Städte und Gemeinden unter Einbeziehung aller relevanten Akteure über Fragen der Gesundheitsförderung, Prävention und lokalen Versorgung.

Eine der ersten Regionen, in denen dieses Instrument im Südwesten erprobt wurde, ist der Landkreis Reutlingen (Regierungsbezirk Tübingen) mit rund 281.000 Einwohnern.

Themen wie die hausärztliche Versorgung, Rückengesundheit oder Diabetes-Prävention standen dort seit 2010 auf der Agenda der Gesundheitskonferenz.

Dieses Gremium ist "eine ideale Drehscheibe zwischen bürgerschaftlichem Dialog, der politischen Steuerung und fachlich sinnvollem Handeln", berichtet Landrat Thomas Reumann der "Ärzte Zeitung".

"Zu weit von alltäglicher Praxis entfernt"

Thomas Reumann, Landrat im Kreis Reutlingen.

Thomas Reumann, Landrat im Kreis Reutlingen.

© Georg J. Lopata /axentis.de

Aus seiner Sicht ist der Bundesgesetzgeber "zu weit von der alltäglichen Praxis entfernt". In 34 von 44 Stadt- und Landkreisen im Südwesten sind Kommunale Gesundheitskonferenzen inzwischen etabliert.

Die Landesregierung hat diesen Prozess mit einer Anschubfinanzierung von 38.000 je Region unterstützt.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde so geschneidert, dass er im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist. Das Ergebnis ist aus Sicht Reumanns enttäuschend - so wie von der Bundesregierung geplant, könne Prävention und Gesundheitsförderung nicht auf kommunaler Ebene verankert werden.

"Es bleibt nach wie vor den Institutionen vor Ort überlassen, wie Prävention umgesetzt wird und welche Finanzmittel zur Verfügung stehen", kritisiert er.

Nur Kassen sind in der Pflicht

Frank Winkler, stellvertr. Leiter der Landesvertretung des Ersatzkassenverbands.

Frank Winkler, stellvertr. Leiter der Landesvertretung des Ersatzkassenverbands.

© vdek BW

Auch die Ersatzkassen in Baden-Württemberg halten den Ansatz der Regierung für zu kurz gegriffen.

"Der Staat nimmt allein die Krankenkassen in die Pflicht, obwohl diese bereits jetzt schon mit 50 Prozent Hauptfinanzierer der Prävention sind", sagt Frank Winkler, Sprecher undstellvertretender Leiter der Landesvertretung des Ersatzkassenverbands.

Verstehe man Prävention als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, dann müsse diese neben dem Staat auch von allen Sozialleistungsträgern, der PKV und weiteren Akteuren getragen werden. "Die GKV darf nicht zum Ausfallbürgen des Staates werden", warnt Winkler.

Besonders groß wird die Lücke zwischen Anspruch und (gesetzgeberischer) Realisierung beim Ziel, gesunde Lebenswelten zu schaffen - im Unternehmen, in der Kita oder in der Schule.

Präventionsarbeit in solchen Settings verlangt viel Entwicklungs- und organisatorische Arbeit. Wer Gesundheitsförderung in Kitas gestalten will, braucht neben tauglichen Konzepten die Schulung von Erzieherinnen, personelle Unterstützung vor Ort und vor allem den Rückhalt der Träger von Einrichtungen, sagt Winkler.

Insbesondere bei der Verhältnisprävention könnten "die primären Zuständigkeiten nicht von der GKV ersetzt werden", so der Ersatzkassenvertreter. Eine Kommunale Gesundheitskonferenz biete sich als Plattform an, um die Organisation solcher Projekte zu steuern, sagt Landrat Reumann.

Er hat selbst erfahren, wie eng die Kompetenzgrenzen dieser Konferenzen gesteckt sind. Als in Reutlingen das Projekt "Kinder in Bewegung" in Kitas und Kindergärten gestartet werden sollte, winkten die Kassen ab - sie seien bei der Finanzierung nicht in der Pflicht.

Deshalb müssten die Gesundheitskonferenzen mit "klaren gesetzlichen Kompetenzen ausgestattet werden und auf einer soliden finanziellen Grundlage stehen", so Reumann.

Kommunen sitzen nicht mit am Tisch

Was der Entwurf der Regierung regeln will

Krankenkassen sollen ab 2014 jährlich sechs Euro für Präventionsleistungen ausgeben, bisher sind es 3,01 Euro.

Ausgaben für Leistungen in Lebenswelten der Versicherten (Kita, Schule, Seniorenheim) sollen sich innerhalb des Ausgabenrahmens mindestens verdreifachen.

Für betriebliche Gesundheitsförderung sollen Kassen ab 2014 mindestens jährlich zwei Euro je Versicherten ausgeben.

Kosten für Kinderfrüherkennungsuntersuchungen müssen Kassen künftig bis zum vollendeten 10. Lebensjahr übernehmen.

Bei U-Untersuchungen sowie Check-ups für Erwachsene sollen Präventionsaspekte stärker als bisher berücksichtigt werden.

Hier könnte aus seiner Sicht ein Bundes-Präventionsgesetz sehr wohl Akzente setzen: So seien Kommunen etwa im sektorenübergreifenden Landesbeirat (Paragraf 90a SGB V) nicht verbindlich beteiligt.

Dort ist geregelt, dass das Gemeinsame Landesgremium Empfehlungen zu sektorenübergreifenden Versorgungsfragen abgeben kann.

Das gilt - je nach Landesrecht - auch für die Bedarfsplanung. Bei den Landesausschüssen von Kassen und Ärzten säßen Kommunen erst gar nicht mit am Tisch - viel Know-how gehe dadurch verloren, bemängelt Reumann.

Es genüge nicht, wenn bei den Konferenzen alle Akteure an einem Tisch sitzen, die Budgethoheiten aber unverändert bleiben. Diese Gremien benötigten "ein eigenes Budget".

Ein Blick in die Schweiz sei hilfreich, so Reumann. Dort werden Mittel aus der Alkohol-, Nikotin- und Glücksspielsteuer anteilig an die Kommunen weitergeleitet.

Viel Stoff für ein Bundespräventions-Gesetz - wenn der Gesetzgeber es mit Prävention und Gesundheitsförderung ernst meint.

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