Plädoyer

Rufe nach einem Aktionsplan Adipositas

Jeder vierte Bundesbürger weist einen Body-MassIndex von über 30 auf. Nun fordern auch die psychosomatischen Fachgesellschaften von der neuen Bundesregierung einen Aktionsplan Adipositas.

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BERLIN. Angesichts der zunehmenden Zahl von Menschen mit schwerem Übergewicht haben die Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie und das Deutsche Kollegium für Psychosomatische Medizin die neue Bundesregierung aufgefordert, einen nationalen Aktionsplan Adipositas zu entwickeln. Dabei müssten alle relevanten Fachgesellschaften eingebunden werden, heißt es in ihrem Positionspapier.

Damit bekommen Forderungen von Diabetologen auch von weiteren Fachgesellschaften Rückenwind. Seit Jahren machen sie auf die Negativfolgen von Fehlernährung und Übergewicht aufmerksam.

"Wer Adipositas nur als Problem des Einzelnen sieht, der sich nicht beherrschen kann, greift zu kurz, sagt Professor Harald Gündel, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Uniklinik Ulm. Die Weltgesundheitsorganisation stufe Adipositas als chronische Krankheit ein.

Als solche müsse sie auch anerkannt werden. Die Folgen von Adipositas – Stoffwechselstörungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bestimmte Krebsarten sowie Schäden am Bewegungsapparat – führten zu hohen beruflichen Ausfallzeiten und zu einer letztlich verringerten Lebenserwartung.

Übergewicht könnte Ausdruck psychischer Störung sein

Ferner sei Übergewicht assoziiert mit psychischen Erkrankungen wie Depression und Angstzuständen. Dies sei auch Folge des geringen Selbstwertgefühls und der sozialen Ausgrenzung. Übergewicht könne auch Ausdruck einer psychischen Störung sein.

"Wir leben mit einem ständigen Überangebot von kalorienreichen Nahrungsmitteln, die unser natürliches Belohnungssystem ansprechen", erläutert Professor Stefan Zipfel vom Universitätsklinikum Tübingen. Dieser ständigen Versuchung zu widerstehen, gelinge selbst psychisch Gesunden nicht immer. Wer aber psychisch labil sei, beginne umso leichter mit dem sogenannten "Frust-Essen".

"Eine der besonderen Herausforderungen stellt die Entwicklung geeigneter Präventionsmaßnahmen von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen dar", so Zipfel.

Dabei könnten auch innovative Medien, wie digitale Lernspiele zu Themen der Ernährung, Bewegung und Bewältigung von psychosozialem Stress beuteragen.

"Adipositas ist prinzipiell vermeidbar"

Die Weichen neu zustellen sei ein langwieriger Prozess. Psychotherapeutische Ansätze wie etwa eine Verhaltenstherapie könnten zwar kurzfristig Erfolge bringen, doch gebe es kaum langfristig wirksame Präventions- und Therapiekonzepte. Selbst eine operative Magenverkleinerung helfe nicht allen Patienten dauerhaft.

Die Unterzeichner des Positionspapiers wünschen dazu eine bessere Forschungsförderung und ein Mandat, die gewonnene Expertise direkt in den politischen Prozess einbringen zu können. "Adipositas ist prinzipiell vermeidbar und behandelbar", so Gündel.

Das gelte jedoch nur, wenn man den Betroffenen auch langfristig die therapeutische Hilfe zuteilwerden lasse, die sie benötigen. In der GKV gilt Übergewicht immer noch als eine Art Lifestyle-Problem. (HL)

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