Psychotherapie

Reform auf "Irrweg"

Verschreibungskompetenz für psychologische Psychotherapeuten? Dagegen wollen die ärztlichen Psychotherapeuten Sturm laufen. Was das Gesundheitsministerium plane, sei ein "Irrweg", sagt DGPPN-PräsidentProfessor Arno Deister.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:

BERLIN. Die geplante Reform der Psychotherapeutenausbildung steht in scharfem Gegenwind. "Wir sind davon überzeugt, dass die Grenzen zwischen dem, was Ärzte machen und dem, was Nichtärzte machen, damit in völlig unzulässiger Weise aufgelöst werden", sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde Professor Arno Deister der "Ärzte Zeitung". Es gebe keinen Grund, warum psychologische Psychotherapeuten das Recht erhalten sollten, Psychopharmaka zu verschreiben, sagte Deister.

Bislang hatte die medizinische Fachgesellschaft sich offiziell nicht zu dem von der Großen Koalition geplanten Systemwechsel in der Psychotherapeutenausbildung geäußert. Zur Zeit arbeiten die ärztlichen Psychotherapieverbände an einer gemeinsamen Stellungnahme, die noch in diesem Jahr dem Bundesgesundheitsministerium zugeleitet werden soll. "Darin werden wir sagen, dass die Pläne die Patientensicherheit gefährden", sagte Deister. Arzneimittel- und Patientensicherheit seien nicht verhandelbar.

Bologna-Prozess zwingt zur Reform

Auslöser der Aktivitäten ist ein als "Arbeitsentwurf" überschriebenes Papier aus dem Gesundheitsministerium, das Ende Juli öffentlich wurde (wir berichteten). Aus den bisherigen Zugangswegen in die psychotherapeutischen Berufe – Grundstudium (zum Beispiel Sozialpädagogik) und postgraduale Ausbildung – soll ein Approbationsstudium mit anschließender fünfjähriger Weiterbildung analog zur Ärzteausbildung werden. Ein zwingender Grund für Änderungen sind europäische Vorgaben. Der Bologna-Prozess verpflichtet die Mitgliedsstaaten, Ausbildungsgänge so zu gestalten, dass sie in jedem EU-Land als gleichwertig anerkannt werden können.

Misstrauen gegen neuen Heilberuf

Diese Notwendigkeit stellen die ärztlich psychiatrischen Verbände nicht in Frage. Einig ist man sich auch darin, dass die Stellung der Psychiater in Ausbildung (PiA) dringend geändert werden müsse. In den Kliniken sei die Versorgung ohne diese Berufsgruppe kaum noch organisierbar. Dafür würden sie aber deutlich zu schlecht bezahlt, sagt Deister.

Die Hauptkritik der Ärzte entzündet sich an der geplanten Einführung eines Modellstudiengangs, der dem Erwerb von Kompetenzen "zur Feststellung, Verordnung und Überprüfung von psychopharmakologischen Maßnahmen als Bestandteil einer psychotherapeutischen Versorgung" dienen soll. Mit anderen Worten: Das Ministerium will einen deutlich veränderten Heilberuf mit Verschreibungskompetenz schaffen.

Das stößt auf tiefstes Misstrauen in der Ärzteschaft. Ulrich Weigeldt, der Vorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, hat beim Deutschen Hausärztetag davon gesprochen, dass ein "Hausarzt für die Seele" geschaffen werden solle, dem die sprechende Medizin übertragen werde.

Die Sorgen Weigeldts sind möglicherweise unbegründet. Doch auch die Befürworter einer radikalen Umstellung der Psychotherapeutenausbildung hegen Zweifel. "Modellstudiengänge zur pharmakologischen Ausbildung werden von uns nicht unterstützt", heißt es in einer Stellungnahme der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung (DPtV) von vergangener Woche. Und auch die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) hat vergangene Woche eine Reform der Psychologischen Psychotherapie gefordert, die "eine klare Abgrenzung von ärztlichen Psychotherapeuten ermöglicht und die zentrale Bedeutung der Psychologie als Kernwissenschaft der Psychotherapie betont".

Für die ärztlichen Psychotherapeuten ist klar, dass die für eine Verordnungskompetenz erforderlichen biomedizinischen Kenntnisse im Rahmen des laut Arbeitsentwurf geplanten Studiengangs nicht einmal annäherungsweise im notwendigen Umfang vermittelt werden könnten. Der Nachweis von Kompetenz für psychotherapeutische Leistungen befähige nicht zur umfassenden Diagnostik, Differentialdiagnostik und Therapie psychisch kranker Menschen. Das Spektrum reiche von genetisch bedingten Störungen über neurodegenerative Erkrankungen, der gesamten Suchtmedizin bis zur Schizophrenie und mehr. Die dafür erforderliche medizinische Expertise einschließlich der Kenntnis vernetzter Versorgungsstrukturen gewinne man nur im Medizinstudium.

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