Psychisch kranke Straftäter

"Unantastbarer Privatbereich" muss bleiben

Bundesverfassungsrichter entscheiden: Auch psychisch kranken Straftätern muss ein gewisses Maß an Privatheit zugestanden werden.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:

KARLSRUHE. Auch psychisch kranke Straftäter im Maßregelvollzug haben einen "unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung". Verfasst ein Untergebrachter heimlich einen biografischen Text über seine Krankheit und seine begangene Straftat, darf die Klinik die Aufzeichnungen nicht einfach in die Krankenakte aufnehmen und einem externen Gutachter zur Verfügung stellen, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe vor wenigen Tagen.

Der Beschwerdeführer hatte im Zuge einer wahnhaften Störung im Januar 2014 seine vierjährige Tochter und seinen sechsjährigen Sohn getötet. Im Maßregelvollzug durfte er täglich für eine Stunde einen Klinik-Computer benutzen. Die währenddessen erstellten Dateien wurden nach 24 Stunden automatisch gelöscht.

Auf dem Rechner verfasste der Mann jedoch heimlich einen biografischen Text, in dem er erstmals seine Gedanken zu seiner Krankheit und seiner begangenen Straftat preisgab. Den Text versteckter er in einem Systemordner des Computers, damit er nicht gelöscht wurde.

Als die Klinik den Text dennoch fand, nahm sie ihn in die Krankenakte auf. Auch ein externer Gutachter erhielt den Text für ein noch ausstehendes Sachverständigengutachten. Ohne den Text sei die Diagnose und Behandlung schwierig gewesen, da der Mann zuvor keine Einblicke in sein psychisches Erleben erlaubt habe.

Das schleswig-holsteinische Oberlandesgericht (OLG) hielt die Nutzung der Daten für gerechtfertigt. Ohne Nutzung des biografischen Textes könnten die Ziele des Maßregelvollzugs und die Therapie gefährdet sein. Es drohten sonst "erhebliche Nachteile" für die Allgemeinheit.

Dem Bundesverfassungsgericht reichte dies als Begründung nicht aus. Zwar dürfe eine Klinik aufgefundene Dokumente sichten und prüfen, ob sie beispielsweise Informationen zu Fluchtplänen oder eine anderweitige Gefährdung der Allgemeinheit enthalten.

Davon abgesehen müsse aber ein "letzter unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung" anerkannt werden, "der der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen ist".

Hier hätten weder die Klinik noch die Gerichte "hinreichend gewichtige Allgemeinwohlinteressen" dargelegt, rügten die Karlsruher Richter. Ohne eine solche genaue Begründungspflicht könnten im Maßregelvollzug die Kliniken aber immer Allgemeininteressen geltend machen, so dass den Patienten keinerlei Privatsphäre mehr verbleibe. (fl/mwo)

Urteil des Bundesverfassungsgerichts:

Az.: 2 BvR 883/17

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