KV Hamburg

"Peitsche und Zuckerbrötchen" im Terminservice-Gesetz

Hamburgs KV-Vertreter sind genervt über den Dirigismus im geplanten TSVG. Vom Ausstieg aus der Budgetierung könnten die Ärzte in der Hansestadt aber massiv profitieren.

Dirk SchnackVon Dirk Schnack Veröffentlicht:
Hamburgs Ärzte sehen dem TSVG mit gemischten Gefühlen entgegen: Es enthält ihrer Ansicht nach neben kleinen extrabudgetären Geschenken zuviel Dirigismus.

Hamburgs Ärzte sehen dem TSVG mit gemischten Gefühlen entgegen: Es enthält ihrer Ansicht nach neben kleinen extrabudgetären Geschenken zuviel Dirigismus.

© Ingo Bartussek / stock.adobe.com

HAMBURG. Hamburgs Ärzte halten Teile des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) für eine Zumutung. Andererseits lockt der Ausstieg aus der Budgetierung. Entsprechend schwer fiel es den Ärzten in der KV-Vertreterversammlung, eine einheitliche Linie auf den Referentenentwurf aus dem Bundesgesundheitsministerium zu finden.

Das Problem für die Vertreter: Das im Referentenentwurf angelegte Hineinregieren des Gesetzgebers bis in die Praxisstruktur halten sie für eine Zumutung: Orthopäde Dr. Torsten Hemker erinnert das Gebaren des Ministeriums an feudalistische Strukturen. Hausärztin Silke Lüder befürchtet, dass eine Umsetzung des Entwurfs einen weiteren Systemwandel im Gesundheitswesen zementiert und Nervenarzt Dr. Joachim Grefe wird beim Studium der drohenden gesetzgeberischen Eingriffe in die Praxisstrukturen "einfach nur schlecht."

Liste an neuen Vorgaben

Die einhellige Empörung der Vertreter bezog sich in erster Linie auf die Liste an Vorgaben, die das Bundesgesundheitsministerium den Praxen für deren Organisation vorschreiben will: Ausweitung der wöchentlichen Sprechstundenzeit, Verpflichtung zu offenen Sprechstunden, Veröffentlichung der Zeiten über die KV-Homepage und Überwachung des Versorgungsauftrages. "Das greift nicht nur in die Selbstverwaltung, sondern in ihre Praxisstrukturen ein. Das ist neu", verdeutlichte der KV-Vorstandsvorsitzende Walter Plassmann den Unterschied zu früheren Gesundheitsgesetzen.

Hinzu kommen weitere Punkte, die die Selbstverwaltung treffen: So sollen die Gesundheitsbehörden der Länder künftig in den Zulassungsgremien und damit bei der Zulassung und Bedarfsplanung eine wichtige Rolle spielen dürfen. Der Gesetzgeber geht im Referentenentwurf so weit, dass die Aufsicht künftig sogar zusätzliche Sitze beantragen darf – für Plassmann "aberwitzig" und "verfassungsrechtlich zweifelhaft".

Doch der Entwurf verwebt die für Ärzte schwer verdaulichen Regelungen mit einem Anreiz, der vielen von ihnen bis vor Kurzem kaum erreichbar schien – dem Ausstieg aus der Budgetierung. Viele Leistungen wie etwa die Behandlung von neuen Patienten oder solchen, die in die offenen Sprechstunden oder über die Terminservicestellen in die Praxen kommen, sollen künftig extrabudgetär honoriert werden.

Abstaffelung könnte passé sein

Plassmann erwartet, dass es Ärzten mit entsprechender Praxisorganisation gelingen sollte, damit quasi jeden Patienten ohne Abstaffelung beim Honorar behandeln zu können. Bei konsequenter Umsetzung dieser Möglichkeiten könnte die daraus resultierende Honorarsteigerung für Hamburg bis zu 20 Prozent betragen. Eben weil Hamburgs Ärzte unter den Abstaffelungen stärker leiden als Kollegen in anderen KVen, würden sie von den Neuregelungen auch stärker profitieren.

Viele Vertreter sehen im Referentenentwurf deshalb "Zuckerbrot und Peitsche". Internist Dr. Wolfgang Wesiack machte allerdings deutlich: "Die Peitsche kommt sowieso. Nehmen wir also das Zuckerbrötchen." Die Verniedlichung wählte er bewusst – denn so recht konnte er sich nicht vorstellen, dass der Gesetzgeber Leistungen auf Dauer unbudgetiert lässt.

Auch Radiologe Dr. Andreas Bollkämper befürchtet: "Das zerreißt das System." Plassmann hielt dagegen: Die Steigerungen würden die gesetzlichen Kassen rund zwei Milliarden Euro kosten – durchaus vertretbar mit Blick auf die im System erforderliche Gesamtsumme.

Am Ende einigten sich die Vertreter nach kontroverser Diskussion auf eine einstimmig verabschiedete Resolution, in der sie die schwerwiegenden Eingriffe in die Selbstverwaltung und in die Autonomie der Praxen kritisieren. Zugleich fordern sie die Abschaffung der Budgetierung und weitere weiterer Zumutungen, die im Referentenentwurf angelegt sind.

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