DMP-Streit in Thüringen

KV lässt sich auf strittigen Deal ein

In Thüringen fordern die Kassen Millionen Euro zurück - wegen angeblich falsch abgerechneter DMP-Pauschalen. Die Angst vor einem Verwaltungskollaps hat die KV jetzt zu einem Kompromiss mit den Kassen getrieben. Über die strittigen Qualitätspauschalen zeichnet sich bereits neuer Zwist ab.

Von Robert Büssow Veröffentlicht:
Blutzuckertest: Die Qualitätsziele bei der Einstellung von Diabetespatienten, die die Kassen im Rahmen der DMP Diabetes mellitus 1 und Diabetes mellitus 2 anstreben, stoßen bei Ärzten auf Widerspruch.

Blutzuckertest: Die Qualitätsziele bei der Einstellung von Diabetespatienten, die die Kassen im Rahmen der DMP Diabetes mellitus 1 und Diabetes mellitus 2 anstreben, stoßen bei Ärzten auf Widerspruch.

© Mark Brazier / photos.com

ERFURT. Die gut bezahlten DMP-Verträge entwickeln sich in Thüringen zum gefährlichen Bumerang: Die Kassen fordern wegen falsch abgerechneter Qualitätsziel-Pauschalen für die Jahre ab 2010 mehrere Millionen Euro zurück.

Dabei handelt es sich um bis zu fünfstellige Beträge pro DMP-Arzt und Jahr, heißt es von Seiten der KV Thüringen.

Genaue Summen sind aber auch von den Krankenkassen nicht zu erfahren. Seit über einem Jahr verhandelt die KV über eine Anpassung der DMP-Verträge.

Zuletzt wurde die Lage als "in jede Richtung völlig verfahren" bezeichnet. Auf der jüngsten Vertreterversammlung vermeldete KV-Vize Thomas Schröter nun einen "Durchbruch".

Allerdings einen der zartbitteren Sorte, denn die KV musste erhebliche Zugeständnisse machen. "Das Kompromisspaket, das nun auf dem Tisch liegt, ist einerseits ein Befreiungsschlag, enthält andererseits aber auch für beide Seiten die sprichwörtlichen Kröten, die es zu schlucken gilt", sagte Schröter vor den Ärztevertretern.

Man kann es so zusammenfassen: Die Kassen verzichten zwar auf einen Teil der Rückforderungen, dafür akzeptiert die KV eine stärkere Vergütung nach Ergebnisqualität, über deren Kriterien die Kassen ein gehöriges Wort mitreden wollen.

Konkret betrifft es die DMP Diabetes mellitus 1 und 2, das DMP Koronare Herzkrankheit (KHK) sowie Asthma/COPD. Hier werde das ursprünglich vereinbarte Honorarvolumen von 2009 beibehalten - allerdings mit einem Abschlag von 20 Prozent.

Mit diesem Betrag müssen in den kommenden Jahren die Honorar-Rückforderungen von 2010 bis einschließlich 2013 ausgeglichen werden, erklärte Schröter. Das Geld soll allerdings nicht bei den Kassen verschwinden.

Kröten gibt es für beide Seiten

Die Kröten für die Kassen: Mit 40 Prozent der Abschlagsumme sollen tatsächlich berechtigte Widersprüche von Ärzten gegen die Rückforderungen kompensiert werden. "Eine dicke Kröte für die Kassenseite", sagt Schröter.

Im Gegenzug die Kröte für die KV: Die übrigen 60 Prozent wollen die Kassen nur unter einer Bedingung wieder auszahlen - das Geld fließt ausschließlich in ergebnisbezogene Qualitätspauschalen. Und zwar nach den Vorstellungen der Krankenkassen.

Ein Sündenfall? Selbst der KV ist nicht ganz wohl zumute, dass sie sich auf diese Debatte eingelassen hat, wie auf der Vertreterversammlung deutlich zu merken war.

"Als Maß der Ergebnisqualität sollen für bestimmte Kriterien landesweite Referenzwerte bezogen auf sämtliche DMP-Versicherten gebildet werden", erklärt Schröter.

Nur wenn ein Arzt diesen Wert erfüllt, erhält er die neue Qualitätspauschale. Die heiße Diskussion darüber zeichnete sich bereits ab.

Schröter zufolge wollen die Kassen beispielsweise bei Diabetes den Durchschnitt aller im DMP gemessenen HbA1c-Werte als Referenzwert nehmen. "Das ist medizinisch mehr als fragwürdig", sagte Schröter. B

eim KHK schlagen die Kassen demnach den Blutdruck als geeignetes Qualitätskriterium vor. "Nun wissen wir alle, dass solche Werte weniger von der Qualität der Behandlung abhängen als von der Krankheitsschwere der Patienten, das heißt, vom Morbiditätsmix in einer Praxis", so Schröter.

Der Delegierte Peter Baum gab zu bedenken, was das für drastische Folgen haben könnte: "Wenn der Patient sich nicht an die Schulungen hält, dann muss ich sagen, wer clever ist, schmeißt die Patienten, die unter dem Durchschnitt sind, raus."

Mit anderen Worten: Was könne der Arzt dafür, wenn seine Patienten kränker sind als die seiner Kollegen. "Da die Kassen das Prinzip aber unbedingt so einführen wollen, werden wir nach sinnvollen Alternativen zu deren Qualitätsparametern suchen müssen", sagte Schröter.

Widersprüche drohen Verwaltung lahmzulegen

Ein Vorschlag könne lauten, dass Ärzte einen bestimmten Anteil an KHK-Patienten erreichen müssen, die therapeutisch beschwerdefrei gehalten werden. "Die Kassen verzichten auf 40 Prozent der Rückforderungen in den letzten drei Jahren.

Das ist wesentlich mehr, als wir zu hoffen gewagt hatten. Gleichzeitig müssen wir ein zusätzliches Millionen-Honorar annehmen, obwohl wir wissen, dass es uns innerärztlich Probleme bereiten wird", fasst Schröter das Dilemma zusammen.

Dass sich die KV überhaupt auf eine solche Debatte einlässt, hat einen triftigen Grund: Die von den Rückforderungen ausgelöste Flut an Widersprüchen der Ärzte droht die KV-Verwaltung über Jahre lahmzulegen.

"Nur für 2011 haben wir einen Aufwand von ein bis zwei Jahren Bearbeitung. Das muss man sich einmal vorstellen", sagte Schröter.

Auch für 2012 lägen die Rückforderungen bereits auf dem Tisch der KV, in Summe ein noch größerer Betrag als im Vorjahr. Da für 2013 die gleichen Qualitätsziele gelten, die am DMP-Streit schuld sind, lasse die Abwicklung "eine Obstruktion unserer Verwaltung über mehrere Jahre erwarten", so Schröter.

Ein wichtiges Detail der Einigung ist deshalb: Die individuelle Abwicklung der Rückforderungsanträge entfällt.

Allerdings muss die Definition der neuen Qualitätsziele bis Jahresende abgeschlossen sein. Dann sollen die neuen DMP-Verträge in Kraft treten.

Schröter sagte, er sei optimistisch, dass die "Altlasten" bald beseitigt sind. Damit meint er Qualitätsklauseln, die sich in der Praxis als unsinnig erwiesen haben: So wurden Rückforderungen allein deshalb gestellt, weil Durchführung und Abrechnung einer Fußinspektion nicht im selben Quartal erfolgten.

Konsens besteht in einem Punkt: Die DMP selbst stehen trotz Bürokratie und Ärger derzeit nicht zur Disposition. Immerhin werden die über 20 Millionen Euro extrabudgetär bezahlt.

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