Baden-Württemberg

Paragraf 73b ist Wahlprüfstein

Parteien-Check auf dem Hausärztetag in Baden-Württemberg: Während die SPD den Hausärzten programmatisch beim Thema Hausarztverträge am nächsten steht, müssen dagegen Grüne und CDU Kritik einstecken.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:
Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg (l.) und Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes.

Dr. Christopher Hermann, Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg (l.) und Ulrich Weigeldt, Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes.

© [M: ths], F.: U. Regenscheit, Stefan Maria Rother

STUTTGART. Die SPD spricht sich dafür aus, am Zwang für Krankenkassen festzuhalten, Hausarztverträge anzubieten.

Zudem wollen die Sozialdemokraten die umstrittene Refinanzierungsklausel in Paragraf 73 b Absatz 5 gestrichen sehen. Danach muss vertraglich festgeschrieben sein, dass die hausarztzentrierte Versorgung nicht teurer ist als die Regelversorgung.

"Wir wollen zum Rechtszustand vor 2010 zurück", stellte Hilde Mattheis klar, stellvertretende Sprecherin für Gesundheit in der SPD-Bundestagsfraktion.

Sie bezeichnete ihre Partei beim baden-württembergischen Hausärztetag am Samstag in Stuttgart als "verlässlichen Partner der Hausärzte". Ein Vertreter der FDP war wegen des Bundesparteitags der Liberalen nicht auf dem Podium vertreten.

Auch Grüne wollen Refinanzierungsklausel streichen

Birgitt Bender, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, stimmte mit der SPD darin überein, die von der schwarz-gelben Koalition eingeführte Refinanzierungsklausel zu streichen.

Allerdings möchte Bender auch den Zwang für Kassen kippen, 73b-Verträge zu schließen. "Der Weg über Zwang und Schiedsamt führt nicht weiter", sagte Bender. Wenn Hausärzte gute Angebote machten, würden die Kassen "nicht blöd sein" und diese nicht aufgreifen.

Bender verwies als Beispiel auf die DAK Gesundheit, die erst den Weg des Schiedsverfahrens gesucht und nun den Hausarztvertrag freiwillig verlängert habe.

In der Vergangenheit sei der Hausärzteverband außerhalb Baden-Württembergs zudem mit dem Schiedsverfahren als Drohinstrument "in einer Weise unterwegs gewesen, die nicht immer dem eigenen Anliegen genutzt hat".

CDU: Zwang zu Hausarztverträgen soll bleiben

Harsche Kritik musste der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Jens Spahn, einstecken. Anders als die Grünen wolle die Unionsfraktion am Zwang zu Hausarztverträgen festhalten.

Jedoch stellte er keine Änderung beim Wirtschaftlichkeitsvorbehalt für Hausarztverträge in Aussicht. Zur Begründung führte er an, Hausarztverträge seien "ein Zwitter", weil es sich nicht um freiwillig geschlossene Selektivverträge handele.

Zugleich reichte Spahn das Problem, dass neue Verträge durch diese Klausel behindert werden, an das Bundesversicherungsamt weiter. Dort würden Selektivverträge oft aus der "Schreibtischperspektive" bewertet.

Auch Hausarztverträge müssten nach einiger Zeit entweder eine höhere Wirtschaftlichkeit oder höhere Behandlungsqualität nachweisen, forderte Spahn.

Er ließ aber Sympathien für die Grünen-Position erkennen, den Wirtschaftlichkeitsvorbehalt zu streichen, wen der Zwang zum Vertragsabschluss entfällt.

"Politischer Kuhhandel"

Diese Verknüpfung wies Hausärzteverbands-Chef Ulrich Weigeldt als "politischen Kuhhandel" zurück. Der Zwang zu Hausarztverträgen sei der "Stachel im Kollektivvertragssystem". Entfalle dieser, legten sich die Kassenchefs "wieder schlafen", prognostizierte der Verbandschef.

Die Wirtschaftlichkeit eines Hausarztvertrags am "insuffizienten Kollektivvertrag" zu messen sei widersinnig. "Das soll der Maßstab sein?", fragte Weigeldt. Er votierte dafür, den Zwang zu Selektivverträgen sogar auszuweiten.

"Warum sollten Versicherte eine strukturierte Versorgung nicht bis ins Krankenhaus hinein angeboten bekommen", sagte Weigeldt und nannte die kürzlich vom Hausärzteverband vorgestellten "Versorgungslandschaften".

AOK: "Elendes Regelversorgungssystem"

Für die AOK Baden-Württemberg forderte Dr. Christopher Hermann vehement einen Wegfall des Finanzierungsvorbehalts im Paragraf 73b. Der AOK-Hausarztvertrag ist als "Altvertrag" nur bis Mitte 2014 von dieser Klausel befreit. Danach drohe diese Regelung "uns die Luft zum Atmen wegzunehmen", warnte Hermann.

Er beklagte, seit 20 Jahren würden die strukturellen Probleme des "elenden Regelversorgungssystems" nicht angegangen. Im Hausarztvertrag dagegen habe man der sonst grassierenden "Kontroletti-Mentalität den Garaus gemacht".

Ein Primärarztsystem, darin zeigten sich SPD, CDU und Grüne auf Nachfrage einig, sei keine Reformperspektive. Eine Diskussion über die Abschaffung der freien Arztwahl, so erklärte Birgitt Bender, "ist ein Revitalisierungsprogramm für die FDP".

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