"Vieles, was wir bisher erreicht haben, ist bedroht!"

Schlechte Zeiten für die Palliativmedizin? Dr. Thomas Schindler, Geschäftsführer der DGP, im Interview mit unserer Mitarbeiterin Ilse Schlingensiepen.

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"Kollegen, die sich in der Palliativmedizin engagieren, sind ziemlich verzweifelt." Dr. Thomas Schindler, Dt. Gesellschaft für Palliativmedizin

Ärzte Zeitung: Herr Dr. Schindler, seit April 2007 steht der Rechtsanspruch der Versicherten auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) im Gesetz. Wie sieht es mit der Umsetzung aus?

Schindler: Sehr traurig. Viele Kollegen, die sich in der Palliativmedizin engagieren, sind ziemlich verzweifelt. Wir hören seit Monaten von den Krankenkassen, dass es endlich losgeht, doch nichts passiert. Von der Flächendeckung sind wir noch meilenweit entfernt. Bisher gibt es gerade einmal drei Verträge nach Paragraf 132 d - jeweils mit einer Krankenkasse. Sie erfassen weniger als ein Prozent der Bevölkerung.

Ärzte Zeitung: Woran liegt die schleppende Entwicklung?

Schindler: Wir haben den Eindruck, dass die meisten Krankenkassen nicht wirklich ein Interesse daran haben, SAPV zu etablieren. Erste Musterverträge die schon seit längerem von den Kassen in Aussicht gestellt worden sind, gibt es bisher nur vereinzelt. Und inhaltlich zielen sie da, wo sie uns bekannt sind, oft an der eigentlichen Absicht des Gesetzgebers vorbei, der mit der SAPV eine medizinisch-pflegerische Komplexleistung einführen wollte - die aber bleibt dann oft auf der Strecke.

Ärzte Zeitung: Sehen Sie auch Defizite im Bereich der ärztlichen Weiterbildung?

Schindler: Die Bundesärztekammer hat durch die Einführung der Palliativmedizin in die Musterweiterbildungsordnung eine gute Initialzündung gegeben. In den Landesärztekammern ist die Nachfrage nach der Weiterbildung recht groß. Allerdings gibt es zwischen den einzelnen Kammern große Unterschiede bei den Schwellen für die Erlangung der Zusatzbezeichnung. Das ist ein Problem. Die Qualität muss gewahrt bleiben und die Kompetenz der Ärzte und Pflegenden in der SAPV deutlich erkennbar werden.

Unsere Sorge ist, dass das Geld für die spezialisierte ambulante Palliativversorgung auch an viele Leistungserbringer verteilt wird, die nicht schwerpunktmäßig in diesem Feld tätig sind. Dann ändert sich in der Versorgung der schwerst Kranken, die eine besonders aufwändige, also zeit- und betreuungsintensive ambulante Begleitung brauchen und auf die das Gesetz schließlich abzielt, doch wieder nichts.

Ärzte Zeitung: Was bedeutet die Honorarreform für die palliativmedizinische Versorgung der Patienten?

Schindler: Die Auswirkungen sind fatal. Vieles was wir bisher erreicht haben, ist bedroht. Ein zentrales Problem wäre der Wegfall der Vergütung für die Hausbesuche. Ohne Hausbesuche kann man keine Palliativversorgung gestalten. Die Konsequenzen, die der neue EBM gerade für die in der allgemeinen Palliativversorgung besonders engagierten Hausärzte hat, könnten existenzbedrohende Formen annehmen. Manche haben mir glaubhaft versichert, dass sie ihre Praxen zum Jahresende dicht machen müssen, wenn die Regelungen so bleiben, wie sie sind. Unsere Forderung ist, dass die Hausbesuche aus den Regelleistungsvolumina herausgenommen werden.

Zur Person

Dr. Thomas Schindler ist Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP).

Lesen Sie dazu auch: Vergütungsregelung für Palliativversorgung steht Gute Palliativversorgung - ein Lotteriespiel Moral fürs Schaufenster

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