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Patientenverfügungen - in der Praxis bleiben Fragen

Gesetze sind dazu da, um Rechtsfrieden herzustellen. Beim im Bundestag heiß umstrittenen Patientenverfügungs-Gesetz ist das nur unvollkommen gelungen.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 2010, Band 15. Hrsg. Von Ludger Honnefelder und Dieter Sturma. Berlin 2010. Verlag Walter de Gruyter. ISBN 978-3-11-022289-0.

Einen Einblick in die Bandbreite der Bewertungen dieses Gesetzes gibt das Jahrbuch für Wissenschaft und Ethik 2010, das diesen Themenschwerpunkt in mehreren Beiträgen beleuchtet.

Der Bundestag hatte sich nach jahrelangem Ringen im Juni 2009 überraschend auf das Gesetz geeinigt, mit dem die Patientenverfügung als Rechtsinstitut in das Betreuungsrecht eingeführt worden ist. Doch die Unsicherheiten bei der Umsetzung in der Praxis bleiben.

Verhältnis zur Tötung auf Verlangen ist ungeklärt

Wichtige Vorarbeit im Gesetzgebungsprozess hat die sogenannte Kutzer-Kommission geleistet, die im Auftrag der damaligen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries im Juni 2004 Regelungsvorschläge vorgelegte. Der Name der Arbeitsgruppe "Patientenautonomie am Lebensende" war dabei Programm.

Der frühere Richter am Bundesgerichtshof Klaus Kutzer zieht eine skeptische Bilanz des Gesetzes im Vergleich zum ursprünglichen Kommissionsbericht. Als positiv bewertet er, dass der Bundestag auf eine Reichweitenbeschränkung verzichtet hat.

Eine große Gruppe von Abgeordneten hatte ursprünglich darauf gedrungen, dass eine Verfügung nur bei irreversiblem tödlichen Verlauf einer Erkrankung verbindlich sein solle.

Absichtlich unverändert gelassen hat der Gesetzgeber aber die Abgrenzung zur Tötung auf Verlangen in Paragraf 216 Strafgesetzbuch. Tötung auf Verlangen, erinnert Kutzer, kann "auch durch Unterlassen lebensrettender Maßnahmen begangen werden".

Der frühere Richter erwartet daher eine "nicht unerhebliche Rechtsunsicherheit" für Ärzte und Betreuer, bis das Verhältnis beider Rechtsnormen zueinander durch Richterrecht geklärt ist.

Wenig ermutigend ist auch das Fazit des Medizinrechtlers Jochen Taupitz, einem der Sachverständigen im Gesetzgebungsverfahren: "An der Grenze von Leben und Tod gibt es keine Rechtssicherheit." So sei umstritten, was passiert, wenn weder ein Bevollmächtigter noch ein Betreuer vorhanden ist.

Richtet sich die Verfügung dann direkt an den Arzt oder andere Behandlungspersonen oder muss das Betreuungsgericht einen Vertreter bestimmen? Das Grundproblem der Auslegung von antizipativen Willenserklärungen sei vom Gesetzgeber nicht gelöst worden.

Fundamental dagegen ist die Kritik von Giovanni Maio, Arzt und Philosoph, der in Freiburg lehrt. Für ihn ist die Patientenverfügung das Zeichen eines verengten Verständnisses von Autonomie. Das Instrument der Verfügung stärke den Patienten - aber nur den "starken und selbstbewussten, kundigen und krankheitserfahrenen Menschen".

Die Autonomie eines Patienten werde tatsächlich nur dann gestärkt, "wenn man sich bei Vorliegen einer Verfügung mit dem Patienten selbst beschäftigt und nicht die Verfügung als Ersatz für eine Beziehung sieht", fordert Maio. Er sieht in Verfügungen eine "Ideologie der Unabhängigkeit": Leben werde nur dann geschätzt, "solange der Einzelne ohne Abhängigkeit von der Hilfe Dritter bestehen kann".

Demgegenüber betont Jan P. Beckmann, Philosoph und Emeritus an der Fernuniversität Hagen, das "Neue und Zukunftsweisende" des Gesetzes. Dieses bestehe darin, dass die Patientenverfügung im "verfassungsrechtlich verbürgten und in der ethischen Tradition der europäischen Aufklärung wurzelnden autonomiebasierten Selbstbestimmungsrecht des Menschen" gründe.

Verfügung als Ausdruck schrankenloser Autonomie?

Dabei wendet sich Beckmann gegen Kritiker, die in Patientenautonomie einen "Ausdruck schrankenloser Emanzipation des Individuums von tradierten Vorstellungen" sehen. Wer das behaupte, vernachlässige die soziale Dimension des Begriffs: "Autonomie stellt als solche eine die Menschen miteinander verbindende Besonderheit dar", so Beckmann.

Vor diesem Hintergrund sei ärztliche Fürsorge "nicht Kompensation für angeblich eingeschränkte Patientenautonomie (...), sondern Antwort auf die Nöte des autonomen Patienten".

Trotz der grundlegenden Zustimmung zur Ausrichtung des Gesetzes kritisiert auch Beckmann Regelungslücken. Ungeklärt ist beispielsweise, ob eine ablehnende Haltung des Patienten in seiner Verfügung auch dann zu befolgen ist, wenn "das Therapieangebot des Arztes begründete Aussicht auf Heilung hat".

Kann ein Patient in seiner Autonomie die Hinnahme eines medizinisch vermeidbaren Todes vorab verfügen? Das, ist sich Beckmann sicher, wird Gerichte trotz Patientenverfügungs-Gesetz beschäftigen.

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