Besuch bei todkranken Kindern

"Der Alltag ist lustig"

Am 10. Februar ist der Tag der Kinderhospizarbeit. Ein Besuch im Hospiz "Sterntaler" im rheinland-pfälzischen Dudenhofen gibt Einblick in die zehrende Arbeit der Ehrenamtlichen – und offenbart Schwierigkeiten, mit denen sich auch andere Einrichtungen in Deutschland konfrontiert sehen.

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Das Gedenkmäuerchen des Kinderhospizes Sterntaler in Dudenhofen. Hier erinnern Eltern, Geschwister und andere Verwandte an verstorbene Kinder.

Das Gedenkmäuerchen des Kinderhospizes Sterntaler in Dudenhofen. Hier erinnern Eltern, Geschwister und andere Verwandte an verstorbene Kinder.

© dpa

DUDENHOFEN. "Amore!" ruft Melanie Todaro ihren Söhnen zu und schaut sie dabei aufmerksam an. Julio lächelt, Joel schaut ernst. "Die beiden lieben Italienisch", sagt Melanie, "die Sprache wie die Nudeln." Schließlich sei auch ihr Großvater Italiener. Und für einen Augenblick ist auch das durch die großen Fenster fallende Licht im Kinderhospiz "Sterntaler" so hell wie an der Adria. "Viele meinen beim Wort Hospiz, sie sehen direkt den Tod", sagt die 37-jährige Mutter und fügt mit einem offenen Lächeln hinzu: "Aber für uns ist das hier das zweite Zuhause."

Die Zwillinge Julio und Joel haben eine seltene Stoffwechselkrankheit, das Sanfilippo-Syndrom. Die ersten Anzeichen machten sich im zweiten Kindergartenjahr bemerkbar, als die Kinder vier Jahre alt waren. Zunächst wurde eine Gehörschädigung vermutet und die beiden kamen in eine darauf eingerichtete Kita. Erst als die Brüder schon sechs waren, erhielten die Eltern die richtige Diagnose. Heute sind Joel und Julio 13 Jahre alt.

Die Krankheit hat vieles verändert im Leben der Familie, die in Boppard am Rhein lebt. Die Friseurin hat ihren Beruf aufgegeben, um sich ganz der Pflege der Kinder zu widmen, deren Entwicklung sich Jahr für Jahr etwas verschlechtert, körperlich wie geistig. Wie sieht da der Alltag aus? "Oh, der ist lustig", antwortet Melanie. "Chaotisch ist es bei uns, aber das bedeutet auch: Es ist immer was los." Seit zwei Jahren wird sie von einem Pflegedienst unterstützt, bei Spaziergängen hilft der ambulante Hospizdienst.

Hospiz bietet Freiraum

Das stationäre Kinder- und Jugendhospiz des gemeinnützigen Vereins Sterntaler in Dudenhofen bei Speyer ist eine von bundesweit 16 solcher Einrichtungen. Zurzeit werden hier fünf Kinder betreut, rund um die Uhr von 20 Pflegekräften, die meisten in Teilzeit. Platz gibt es für elf Kinder und Jugendliche - aber der Träger findet keine Fachkräfte, um auch die Zimmer im zweiten Stock belegen zu können. Denn die Betreuung von Kindern mit lebensbegrenzenden Erkrankungen erfordert Spezialisten – und die müssen finanziert werden.

Fehlende Finanzierung, Mangel an Fachkräften - damit haben auch andere Hospize in Deutschland zu kämpfen. Am meisten mangelt es an Kinderärzten und Kinderkrankenpflegediensten, erklärt Sabine Kraft, Geschäftsführerin des Bundesverbandes Kinderhospiz, im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung online". Um hier eine Verbesserung zu erreichen, führt der Verband auf Bundesebene seit 2015 Gespräche mit Krankenkassen über eine eigenen Rahmenvereinbarung, losgelöst von der für Erwachsenenhospizarbeit. Die Gespräche seien kurz vor dem Abschluss, so Kraft.

Der Bundesverband erhofft sich vor allem bessere Finanzierungen für die Unterbringung der Familie der erkrankten Kinder in der stationären Versorgung und die Betreuung der Hinterbliebenen über den Tod des Kindes hinaus. Denn die Krankenkasse finanziert bisher die Betreuung des erkrankten Kindes. Und die endet mit dessen Tod. "Aber die Betreuung der Eltern und Geschwister muss über den Tod des Kindes hinausgehen", so Kraft.

Warum die Arbeit von Kraft und ihren Kollegen so wichtig für die Familien ist, sieht man an Joels und Julios Mutter. Das Hospiz gibt Melanie etwas von dem Freiraum zurück, der für andere selbstverständlich ist. Bei der ersten Aufnahme der Kinder vor sechs Jahren habe sie es nicht fassen können: "Oh, jetzt können wir ja zu zweit einfach so essen gehen!" Etwa drei Mal im Jahr bringt sie die Kinder von Boppard in die Pfalz, nutzt die Zeit, um auch mal schwimmen zu gehen oder in der Sauna zu entspannen.

In der Zwischenzeit kümmert sich Krankenschwester Bettina Manert um die Zwillinge. "Ganz wichtig ist für sie eine klare Struktur, die Sicherheit im Tagesablauf, das gibt ihnen Halt", erklärt sie. "Ich möchte sie dort abholen, wo sie gerade stehen, was ihnen gut tut." Nach dem langen Sitzen im Rollstuhl tut ihnen der Bewegungstrainer gut. Im Gespräch darüber erinnert sich Melanie an die Zeit, als ihre Kinder noch gesprochen und ausgelassen ihre Umgebung erkundet haben. "Sie waren nur am Rennen, ich denke, sie haben es gespürt, dass sie es irgendwann nicht mehr können."

Ein Ort des Lebens, des Lachens – und des Sterbens

Es sind vor allem Kinder mit seltenen Stoffwechsel- und Muskelerkrankungen, um die sich die Hospize kümmern. Diese Krankheiten haben einen hohen Pflegeaufwand, die temporäre Unterstützung in der Pflege entlastet die Familien. Die Unterstützung zwischendurch ist Sabine Kraft besonders wichtig. Die Öffentlichkeit solle im Zusammenhang mit Hospizen nicht nur an Tod denken.

Deshalb hat der Bundesverband unter anderem das "Oskar Telefon" eingerichtet. Rund um die Uhr kümmern sich ehrenamtliche Spezialisten des Hospizes um Sorgen und Fragen zur Betreuung von todkranken Kindern. Die Anrufe sind anonym, eine Datenbank hält Kontakte von Pflegediensten und Ärzten bereit. Auch, wer Hilfe mit der Trauerarbeit braucht, ist bei der Hotline richtig.

Denn bei aller kurzfristigen Unterstützung zwischendurch sind die betreuten Kinder in den Hospizen unheilbar krank. Jährlich sterben circa 5000 Kinder und Jugendliche nach Angaben des Bundesverbandes an ihren Krankheiten. Damit müssen auch die Mitarbeiter des "Sterntaler" Hospizes umgehen.

"Es ist viel Leben im Haus, es ist auch ein Ort des Lachens - und gleichzeitig haben wir das Sterben hier, das Abschiednehmen", erklärt Sterntaler-Geschäftsführerin Anja Hermann. Gerade erst ist der kleine Simon gestorben. Jetzt haben seine Schwestern den Sarg mit einem Tabaluga-Drachen bemalt und den Weg über den Hof mit Kerzen und Blumen gesäumt. "Die meisten Menschen wissen gar nicht, wie sie über das Sterben und den Tod sprechen sollen, gerade wenn es Kinder sind", sagt die Hospiz-Chefin. "Hier finden sie den Raum dafür."

Die Erinnerung bleibt lebendig am Gedenk-Mäuerchen im Hospiz-Garten. Unter einem Haselstrauch begleiten Engelsfiguren und Kerzenlichter die früh gestorbenen kleinen Menschen, ihre Fotos stehen in den steingefassten Nischen.

Die Mutter von Joel und Julio hat gelernt, im Augenblick zu leben, hat etwas von der Leichtigkeit ihrer Kinder angenommen. Für andere sei dies oft nicht leicht zu verstehen. "Aber man wächst da hinein, jeden Tag so zu leben, wie er kommt." Die Kinder gehen in eine Schule mit dem Förderschwerpunkt der ganzheitlichen Entwicklung. Das Miteinander in der kleinen Klasse tue ihnen gut, sagt Melanie. Sie weiß, dass ihre Kinder wahrscheinlich irgendwann nicht mehr schlucken können und dann wohl mit einer Sonde ernährt werden müssen. Aber dieses Wissen hat nichts mit dem Heute zu tun: "Wir denken nicht an die Zukunft, wir nehmen jeden Tag, wie er kommt." (dpa/mmr)

 

Kinderhospize in Deutschland

- Der Tag der Kinderhospizarbeit am 10. Februar wurde 2006 ins Leben gerufen, um auf die Situation lebensverkürzend erkrankter Kinder und ihrer Familien aufmerksam zu machen. Außerdem soll so in der Gesellschaft ein Bewusstsein für die Arbeit der Kinderhospize geschaffen werden. Die zentrale Veranstaltung findet an wechselnden Orten statt, in diesem Jahr in Kassel.

- 1990 brachten sechs betroffene Familien die deutsche Kinderhospizarbeit auf den Weg.

- Die Mitarbeiter sind ausgebildete ehrenamtliche Spezialisten, der größte Teil der Kosten wird über Spenden gedeckt.

- Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren möchten, sind immer gern gesehen. Sabine Kraft vom Bundesverband Kinderhospiz e.V. zufolge mangelt es vor allem an männlichen Unterstützern.

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